Interessanter Versuch in Österreich: »Bildungstratsch« - Bildungsberatung daheim

(Geschätzte Lesezeit: 2 - 4 Minuten)
erwachsenenbildung.at3

Der »Bildungstratsch« funktioniert nach dem Prinzip der »Tupper-Parties«. Er soll Menschen die Hemmschwelle zu Bildung und Beratung nehmen 

Für Bildungsberatung im privaten Raum braucht es Vertrauen und eine sensible Vorgangsweise. Der Bildungstratsch richtet sich an bildungsbenachteiligte Menschen, die aufgrund bestimmter Lebensumstände bisher kaum Bildungsangebote nutzen konnten. Ziel ist es, (Berührungs-)Ängste mit dem Thema Bildung abzubauen, Selbstvertrauen aufzubauen und die Hemmschwelle zur Beratung zu nehmen. Der Bildungstratsch orientiert sich dabei am Prinzip von »Tupper-Parties«.

Bildungsinformation im gemütlichen Rahmen

Angelehnt an die Tupper-Party, findet auch der Bildungstratsch im privaten Rahmen statt. Ein/e GastgeberIn lädt FreundInnen zu sich nach Hause ein, um über bildungsnahe Themen zu sprechen. Die GastgeberInnen sind idealerweise Peers - also Menschen, die selbst aus der Zielgruppe sind: »Da Peers direkt aus der Zielgruppe kommen bzw. eine gute Anbindung an die Zielgruppe haben, werden sie als gute VermittlerInnen zwischen den Welten gesehen«, schreiben Olga Lee-Emig, Barbara Oberwasserlechner und Monika Höglinger in einem Handbuch über den Bildungstratsch.

Die »Tupperware-BeraterInnen« sind in diesem Fall die BildungsberaterInnen, die Impulse geben und für Fragen zur Verfügung stehen. Sie geben je nach Bedarf Informationen oder Anregungen, um die TeilnehmerInnen mit ihren Interessen abzuholen. Somit sind die Themen im Bildungstratsch vielfältig: von Fragen zu bestimmten Berufen über das Besprechen eines Einstiegs in den Arbeitsmarkt bis hin zur Frage, wie man Kinder beim Lernen unterstützen kann, sind viele Themen möglich. »Das Ziel ist es, mit den Themen nah am persönlichen Erleben und am Alltagsleben der Teilnehmenden zu sein«, schreiben die Autorinnen.

Am Ende der Beratung können sich die TeilnehmerInnen aus der Gruppe als GastgeberInnen für den nächsten Bildungstratsch melden.

Beratung »zu Hause« als umstrittene Herausforderung

»Da Bildungstratsche im Privatbereich stattfinden, war das Konzept von Anfang an umstritten«, schreiben die Autorinnen. BeraterInnen empfanden das Einnehmen des privaten Raums teilweise als übergriffig. »Klar ist, dass die Umsetzung einer besonders sensiblen Vorgangsweise bedarf und der persönliche Rahmen als entlastendes Angebot und keinesfalls als Zwang zu verstehen ist«, beschwichtigen die Autorinnen. Auch ein gewisses Vertrauensverhältnis brauche es als Voraussetzung.

Um das Angebot des Bildungstratsches möglichst niederschwellig zu gestalten, spiele der Ort aber eine wesentliche Rolle. Das eigene Zuhause könne dabei zu einer guten Atmosphäre beitragen. »Dieser Ort wird im Allgemeinen nicht mit Bildungserfahrungen in Zusammenhang gebracht und kann daher neue Assoziationen und Zugänge schaffen«.

Auch für die BeraterInnen sind Atmosphäre und Möglichkeiten andere als in einer Bildungsinstitution und bilden daher auch für sie eine besondere Herausforderung. Als Tipp geben die Autorinnen, dass man bereits in einem Vorgespräch mit dem/der Gastgebenden die Gegebenheiten in der Wohnung besprechen sollte, um Übungen und Methoden gut planen zu können.

Gute Erfahrungen der Bildungsberatung Wien

Im Zeitraum von 2015 bis 2017 hat die Bildungsberatung Wien 18 Bildungstratsch-Beratungen mit insgesamt 86 TeilnehmerInnen durchgeführt.
56% der Teilnehmenden hatten Pflichtschul- oder Lehrabschluss als höchste Ausbildung. 44% hatten eine höhere Qualifikation, die sie aber in Österreich nicht adäquat beruflich nutzen konnten.

Im Feedback der Teilnehmenden zeigte sich, dass die TeilnehmerInnen den Bildungstratsch als sinnvoll für ihre Entwicklung angesehen haben. Auch die gemütliche Atmosphäre und das Beisein vertrauter Personen erleichterte es vielen sich dem Thema Bildung zu öffnen, resümieren die Autorinnen. Jetzt gelte es dran zu bleiben: »Wünschenswert für die Zukunft wäre es, wenn es gelingt, den Bildungstratsch im Sinne des Tupperware-Systems zu etablieren«.

Alles nachlesen im Handbuch Bildungstratsch

Im Handbuch Bildungstratsch beschreiben Olga Lee-Emig, Barbara Oberwasserlechner und Monika Höglinger das Konzept des Beratungsformats und geben Einblick in Erfahrungen. Das Handbuch entstand als Teilprojekt der VHS Floridsdorf im Rahmen des Projekts Bildungsberatung in Wien. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (AT) und der Europäische Sozialfonds finanzieren das Projekt.

Creative Commons License Dieser Text ist unter CC BY 4.0 International lizenziert.

   

  LINKS  

 

Weiterbildungsmentoring: Schlüssel zur Stärkung der Weiterbildungskultur
Qualifizierung von Weiterbildungsmentorinnen und –mentoren Mehr als 460 Weiterbildungsmentor*innen engagieren sich bundesweit in rund 170 Unternehmen und Verwaltungen. Sie unterstützen insbesondere Geringqualifizierte und Menschen mit negativen...
Weiterbildungsprämien ohne großen Einfluss auf Teilnehmerzahlen
Entwicklung der Zugangszahlen von Arbeitslosen in abschlussorientierte geförderte Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung Die Bundesregierung hat detaillierte Daten zur Entwicklung der Eintritte von Arbeitslosen in geförderte abschlussorientierte...
Einfluss des Sprachniveaus auf die Bildungsbeteiligung in Österreich
Sprachniveau beeinflusst formale und nicht-formale Bildungsaktivitäten Laut Erwachsenenbildungserhebung 2022/23 der Statistik Austria ist das Niveau der Deutschkenntnisse ein wichtiger Faktor für die Teilnahme an Bildungsaktivitäten. Die Erhebung...

Die fünf meistgelesenen Artikel der letzten 30 Tage in dieser Kategorie.

 

  • »Mein Bildungsraum« in der Kritik

    Kurzbesprechung des Artikels »Digitalisierung: Großprojekt des Bundes "Mein Bildungsraum" in der Kritik« von Dorothee Wiegand Der Artikel von Dorothee Wiegand (veröffentlicht auf heise.de) bietet einen umfassenden Überblick zum BMBF-Projekt »Mein...

  • Informatikunterricht in Deutschland: Große Fortschritte, aber noch viel zu tun

    Informatik-Monitor 2024/25: Fortschritte und Herausforderungen  Im Schuljahr 2024/25 werden fast drei Viertel aller Schülerinnen und Schüler Informatik als Pflichtfach belegen. Das geht aus dem aktuellen Informatik-Monitor 2024/25 hervor, den die...

  • Bildungsplattform »Mein NOW«: Potenzial ungenutzt

    Portal »mein NOW«: Kritik an Usability und Zielgruppenansprache Die Bildungsjournalistin Gudrun Porath hat in einer Kolumne auf Haufe.de das Online-Portal »mein NOW« kritisch beleuchtet und kommt zu dem Schluss, dass die Weiterbildungsplattform »hinter den...

  • Anhörung zum AFBG: Experten für die Förderung beruflicher Weiterbildung

    Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (AFBG), der insbesondere der Stärkung der beruflichen Weiterbildung und Fachkräftesicherung dienen soll, ist bei einer öffentlichen...

  • Fünf Wege zu mehr Flexibilität: Empfehlungen für die nachschulische Bildung

    Übergänge in Ausbildung und Studium - Wie die Politik in Zeiten des Fachkräftemangels nachschulische Bildung gestalten muss Expert*innen plädieren für mehr Flexibilität in der nachschulischen Bildung Der deutsche Arbeitsmarkt steht vor einer großen...

 

 

.