Berlin: Wachsender Erzieher- und Lehrkräftemangel gefährdet Leistungsniveau der Schüler und Wirtschaftsaufschwung

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Berlin muss in den kommenden gut zehn Jahren bis zu 35.000 Lehrkräfte und 20.000 Erzieher*innen ausbilden und einstellen, da die Bevölkerung in Berlin voraussichtlich auf 4,1 Millionen im Jahr 2030 steigt. Entsprechend steigt die Zahl der Kinder im Kita-, Schul- und Hochschulalter um 300.000 auf insgesamt 1,1 Millionen. Dies geht einher mit einem stark wachsenden Bedarf an Erzieher*innen und Lehrkräften. Da jedoch die Schulverwaltung bereits bei deutlich geringeren Kinder- und Schülerzahlen von einem beträchtlichen Mangel an Erzieher*innen und Lehrkräften ausgeht, bedeutet die FiBS-Prognose, dass sich der Mangel noch einmal dramatisch verschärft.

Das sind die Kernergebnisse einer heute veröffentlichten, unabhängigen und eigenständigen Prognose des FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie zur Entwicklung der Bevölkerung und der Bildungsbeteiligung in Berlin bis zum Jahr 2030.

Im Einzelnen steigt die Zahl der Kinder im Kita-Alter um 40.000 auf 255.000, die der Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen um 140.000 auf 482.000 und an Berufsschulen um über 30.000 auf 122.000. Demgegenüber geht die Berliner Schulverwaltung von einem Anstieg auf 440.000 Schüler an allgemein- und 109.000 an berufsbildenden Schulen aus. Bei den null- bis fünfjährigen Kindern geht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen von einem Rückgang auf etwa 200.000 Kinder aus. Die FiBS-Prognose kommt somit in allen Bildungsbereichen zu deutlich höheren Zahlen als der Berliner Senat.

Dieser Anstieg führt zu einem Einstellungsbedarf von über 12.000 zusätzlichen Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen gegenüber der heutigen Zahl. Unter Berücksichtigung der altersbedingt sowie vorzeitig ausscheidenden Lehrerinnen und Lehrer ergibt sich ein Einstellungsbedarf von mindestens 32.500 Personen, sofern die Zahl der abwandernden oder vorzeitig wegen Berufsunfähigkeit aus dem Dienst ausscheidenden Lehrkräfte nicht weiter ansteigt. Allein zwischen 2014 und 2016 zeigt sich hier eine Verdopplung und es schieden zuletzt fast so viele Lehrkräfte wegen Berufsunfähigkeit vorzeitig aus dem Dienst aus, wie in Pension gingen.

Auch an den Berufsschulen zeigt sich ein Mehrbedarf von über zehn Prozent gegenüber der Prognose der Senatsschulverwaltung. Bei einem von dieser erwarteten Mangel von 2.160 bedeutet das einen weiteren Anstieg des Mangels auf etwa 2.500.

Schwieriger vorherzusagen ist der zusätzliche Bedarf an Fachkräften für den Kita-Bereich: hier fehlen derzeit bereits rund 1.500 Kräfte, um allein die Versorgung der ca. 9.000 genehmigten, aber unbelegten Kita-Plätze gewährleisten zu können. Darüber hinaus hängt der Einstellungsbedarf davon ab, wie viele Kinder zusätzlich aufgenommen werden sollen, d.h. wie hoch die Betreuungsquoten werden sollen. Allein um die derzeitigen Betreuungsquoten aufrechtzuerhalten, müssen bis 2030 mindestens 40.000 Plätze geschaffen werden, wofür ca. 8.000 zusätzliche Fachkräfte ausgebildet werden müssten. Unter Berücksichtigung der altersbedingt oder vorzeitig ausscheidenden beläuft sich der gesamte Ausbildungsbedarf auf mindestens 15.000, unter Umständen können es auch bis zu 20.000 werden, wenn die Betreuungsquote für die unter Dreijährigen auf 60 Prozent erhöht werden soll.

»Der Lehrkräftemangel an den Berliner Schulen wird dramatisch sein, wenn die Politik nicht kurzfristig und entschlossen gegensteuert,« fasst Dr. Dieter Dohmen, der Direktor des FiBS und neue Leiter der Initiative Bildung der Stiftung Zukunft Berlin, die Ergebnisse zusammen. »Alleine in den Klassen 1 bis 10 werden an die 20.000 Lehrkräfte fehlen, wenn weiterhin so viele Lehrer wegen Berufsunfähigkeit vorzeitig ausscheiden, wie zuletzt. Dies ist etwa ein Drittel mehr als die Berliner Schulverwaltung erwartet«. Bei allen Zahlen ist zudem zu berücksichtigten, dass die Zahlen der Senatsschulverwaltung zum Lehrkräfteangebot davon ausgehen, dass alle, die ein Lehramtsstudium erfolgreich abschließen, hinterher auch Lehrer an einer Berliner Schule werden. Dies ist aber erfahrungsgemäß nicht der Fall und gilt umso mehr, als auch alle anderen Bundesländer zu wenig Lehrer für die Grundschulen und die Sekundarstufe I ausbilden. »Hier werden sich die Lehrer die besten Stellen deutschlandweit aussuchen können," hält Dohmen fest. »Diese Situation wird zu einer Gefahr für das Bildungsniveau kommender Jahrgänge und zwar nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. In Berlin ist die Lage aber besonders problematisch, da das Leistungsniveau der Schüler bundesweit am unteren Ende liegt«.

Im Bereich der Hochschulen ist mit einem weiteren Anstieg der Studienanfängerzahlen auf bis zu 42.000 zu rechnen. »Das sind noch einmal 20 Prozent mehr als derzeit ein Studium aufnehmen,« sagt Dohmen. »Dabei kommt über die Hälfte der Erstsemester aus anderen Bundesländern oder dem Ausland. Dies zeigt, wie attraktiv die Berliner Hochschulen sind«.

»Im Ergebnis ist festzuhalten,« sagt der FiBS-Direktor, »dass das Berliner Schulsystem zur Achillesferse für die Wirtschaft werden kann, wenn nicht schnellstmöglich und umfassend gegengesteuert wird. Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass unser Szenario nie Realität werden wird, sondern einen weiteren Anstoß gibt, dass der Senat nunmehr entschlossen handelt und die notwendigen Maßnahmen ergreift. Hierzu müssen nicht nur die Ausbildungskapazitäten der Berliner Universitäten gerade für Grund- und Sekundarschullehrer drastisch weiter ausgebaut, sondern auch neue und attraktive Wege gefunden werden, um Quereinsteiger angemessen auf die Herausforderungen des Unterrichts vorzubereiten. Das derzeitige Vorgehen führt zur Entprofessionalisierung des Lehramts und wird auf dem Rücken der qualifizierten Kollegen und Schüler ausgetragen«. Die Ergebnisse der letztjährigen Prüfungen zum mittleren Schulabschluss (MSA) dürften ein erster Hinweis in diese Richtung sein. »Darüber hinaus muss der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung weiter verbessert und auch die Weiterbildung ausgebaut werden,« fährt Dohmen fort. »Berlin hat hier die zweitniedrigste Weiterbildungsquote aller Länder und gerade Personen ohne Berufsausbildung bzw. mit Lehrabschluss beteiligen sich unterdurchschnittlich«. Abgesehen von der Bundesagentur und dem Bildungsurlaub gibt es keine nennenswert genutzten Finanzierungsinstrumente und auch die Weiterbildungsstrukturen scheinen unzureichend ausgebaut zu sein, wozu auch die schlechten Rahmenbedingungen ihren Teil beitragen.

  

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