Politische Bildung hat nicht in allen Bundesländern die gleiche Bedeutung
Wissenschaftler der Universität Bielefeld erstellen bundesweites Ranking 2018
Politische Bildung ist in deutschen Schulen deutlich schwächer vertreten als Geschichte und Geografie – das zeigt das »Ranking Politische Bildung 2018« von Professor Dr. Reinhold Hedtke und Mahir Gökbudak von der Universität Bielefeld. An bayrischen Gymnasien sind zum Beispiel neunmal mehr Wochenstunden für Geschichte und achtmal mehr Wochenstunden für Geografie als für Politische Bildung vorgesehen. Die Studie, die am heutigen Dienstag (26.03.2019) erscheint, dokumentiert erneut erhebliche Unterschiede im Ländervergleich.
Die Gruppe der Bundesländer, die am wenigsten Zeit für Politische Bildung vorsehen, hat sich gegenüber dem Ranking 2017 nicht verändert: Bayern, Thüringen, Berlin und Rheinland-Pfalz bilden noch immer die Schlusslichter.
»Kinder und Jugendliche haben in ganz Deutschland das gleiche Recht auf Politische Bildung. Das heißt aber auch, dass es keine Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern geben sollte«, sagt Professor Dr. Reinhold Hedtke. Um alle 16 Bundesländer miteinander vergleichen zu können, hat er mit seinem Kollegen Mahir Gökbudak die Stundentafeln für Schulen analysiert. In diesen wird festgehalten, wie viele Unterrichtsstunden laut Schul- und Bildungspolitik des jeweiligen Bundeslandes auf welches Fach in der Schule entfallen. Anhand der Stundentafeln lässt sich also der prozentuale Anteil des Leitfachs der Politischen Bildung an den Gesamtwochenstunden eines ganzen Bildungsgangs oder an den Wochenstunden eines Lernbereichs ablesen. Das Leitfach der Politischen Bildung wird jeweils unterschiedlich bezeichnet, zum Beispiel »Sozialkunde« in Thüringen oder »Politik-Wirtschaft« in Niedersachsen.
Die aktuelle Studie der Bielefelder Sozialwissenschaftler baut auf dem »Ranking Politische Bildung 2017« auf. Neu ist jedoch der Vergleich des Stellenwerts Politischer Bildung mit einzelnen Fächern, konkret Geschichte und Geografie. Außerdem berechneten die Wissenschaftler den Stundentafelanteil Politischer Bildung am gesamten Lernbereich Gesellschaftswissenschaften. »Politische Bildung ist hier wesentlich schwächer vertreten. Der Unterschied zu Geografie ist deutlich, der zu Geschichte sogar dramatisch«, sagt Hedtke.
Dabei zeigen sich klare Unterschiede bei den jeweiligen Bundesländern: In Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Baden-Württemberg liegt der Anteil Politischer Bildung am Lernbereich in Gymnasien bei unter 20 Prozent. Das Schlusslicht bildet Bayern mit 6 Prozent, es folgt Thüringen mit 12 Prozent. Nur in drei Ländern gibt es eine Gleichberechtigung von Geschichte, Geographie und dem Leitfach der Politischen Bildung: in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. In Hessen hat das Fach »Politik und Wirtschaft« sogar einen leichten Stundenvorteil. »Für die Mehrheit der Landesregierungen ist Politische Bildung anscheinend ein Schulfach zweiter Klasse«, so Hedtke.
Wie beim Ranking 2017 wurden auch diesmal die Anteile Politischer Bildung an den Wochenstunden insgesamt ermittelt. Für Gymnasien belegt die Studie wieder deutliche Unterschiede: Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz gewähren der Politischen Bildung vergleichsweise wenig Unterrichtszeit, Bayern bildet hier mit 0,5 Prozent das Schlusslicht. Schleswig-Holstein und Hessen stehen mit 4,3 beziehungsweise 4,4 Prozent hingegen an vorderster Position. Eine ähnlich klare Rangordnung ergibt sich aus dem Vergleich nichtgymnasialer Schulformen. »Diese Reihenfolgen haben sich seit dem vergangenen Jahr nicht verändert«, sagt Hedtke. Allerdings haben einige wenige Landesregierungen Verbesserungen für die kommenden Schuljahre angekündigt, die erst in das nächste Ranking 2019 einfließen können. Zu den Ländern, die einen Ausbau der Politischen Bildung beschlossen haben, gehören Berlin, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Nordrhein-Westfalen.
Hedtke weist auch darauf hin, dass auf Basis der Stundentafeln nicht auf den tatsächlich erteilten Unterricht an den Schulen geschlossen werden kann. In den Stundentafeln kommt jedoch der bildungspolitische Wille der Landesregierungen in Form von Schulfächern und deren Wochenstunden zum Ausdruck. »Die Stundentafeln sind damit ein guter Maßstab für die Frage, wie wichtig Politische Bildung den jeweiligen Ländern ist«, sagt Hedtke. Auf Grundlage ihrer Erhebungen fordern die Bielefelder Wissenschaftler deswegen die Umsetzung konkreter bildungspolitischer Maßnahmen: erstens, dass Politische Bildung in der Sekundarstufe I durchgehend in allen Jahrgängen unterrichtet wird, und zweitens, dass für das Leitfach der Politischen Bildung mindestens vier Prozent der gesamten Lernzeit zur Verfügung stehen.
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