Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt
Mit der Beruflichen Aus- und Weiterbildung in digitalisierten Regionen hat sich die Enquete-Kommission »Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt« in einer öffentlichen Anhörung beschäftigt. »In der zweiten Sitzung zum internationalen Vergleich wollen wir uns mit den Beschäftigungsstrukturen und Qualifizierungspfaden im Silicon Valley, Singapur und Estland beschäftigen und erfahren, was sie dort anders oder besser machen und möglicherweise warum«, eröffnete der Vorsitzende Stefan Kaufmann (CDU) die 11. Sitzung des Gremiums.
Matthias Pilz vom Institut für Berufs-, Wirtschafts- und Sozialpädagogik der Universität zu Köln berichtete von den Berufsbildungssystemen in Japan, China und Indien. Japan sei ein gutes Beispiel dafür, dass die Betriebe sehr aktiv seien, was die Investitionsbereitschaft in Ausbildungen angehe: »Dort beträgt die Abiturientenquote 98 Prozent. Somit studieren circa 70 Prozent der Schulabgänger, denn ein berufliches Bildungssystem existiert nicht«, sagte Pilz. Stattdessen fänden hauptsächlich trainings on the job im Betrieb statt, für die keine Vorerfahrung nötig sei. Ziel der Betriebe sei viel mehr, die Leute »zurechtzuschmieden«, gleichzeitig sei die Bereitschaft von außen zu lernen sehr hoch. »Unternehmen melden ihren Partnern freie Stellen und die Lehrkräfte vor Ort schauen dann, wer ein geeigneter Kandidat dafür sein könnte«, erklärte Pilz. Dieses System funktioniere aufgrund des wechselseitigen Zugangsmechanismus gut und das nicht nur bei Großbetrieben.
In China gebe es hingegen ein starkes Vollzeitsystem, das vom Staat und weniger von den Betrieben vorangetrieben werde. »Interessant ist die sehr gute bis hervorragende Ausstattung der Berufsschulen in den Städten und auch, dass eine subtile Aufwertung der beruflichen Bildung stattfindet, weil insbesondere in den Küstenregionen Fachkräfte gefragt sind«, sagte Pilz. Aber auch reagiere man mit unternehmenseigenen Klassen und Zusatzangeboten, die den Standardlehrplan ergänzen. Ganz anders sehe es in Indien aus, einem Land, in dem weder der Staat noch die Betriebe Investitionsbereitschaft zeigten. Pro Jahr strömen zwischen 12 und 13 Millionen Jugendliche in das Berufsbildungssystem, doch die Ausbildungskapazität sei viel geringer, sodass fast 90 Prozent der Jugendlichen im informellen Sektor landen würden. Im Land gebe es nur wenige Bildungseinrichtungen, die relativ schlecht ausgestattet seien und eine geringe Wertschätzung gegenüber Ausbildungsberufen, obwohl der Bedarf groß sei. Zudem gebe es keine Betriebsbindung, sodass es gut sein könne, dass 50 Prozent der Normalbeschäftigten nach den Sommerferien nicht wieder im Betrieb auftauchten, berichtete Pilz.
Mit Blick auf die Entwicklung der Berufsbildung im Ausland müsse in Deutschland überlegt werden, inwieweit das berufliche Bildungssystem geweitet werden könne, um hybride Formen weiter auszubauen, Kooperationen und die Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit weiter zu fördern, damit es nicht zu einer noch stärkeren Akademisierung komme, plädierte Pilz.
Konstantinos Pouliakas vom Europäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (CEDEFOP) berichtete von der Situation in den EU-Mitgliedstaaten: »Wir haben erhoben, dass 70 Prozent der Jobs in der EU grundlegende digitale Kompetenzen voraussetzen«, sagte Pouliakas. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jobs automatisiert oder ersetzt werden liege nach eigenen Berechnungen bei etwa 14 Prozent - im Verkehrs-, Finanz- und Fertigungssektor sei sie dabei deutlich höher als dort, wo direkte Interaktionen gefordert seien, etwa im Bildungs-, Gesundheits- oder Dienstleistungssektor. Immer wichtiger werde zudem, wie Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt navigieren und sich selbst organisieren können. Auch wenn etliche Länder versuchten in digitale Strategien zu investieren zeigten sich dabei deutliche Unterschiede: »Die digitalen Pioniere sind vor allem die skandinavischen und die Benelux-Länder sowie Estland. Die, die hinterherhinken, sind Zypern, Rumänien, Portugal und Griechenland«, berichtete Pouliakas. Der Berufsbildung-Experte warnte davor, neben den Investitionen in technologische Kompetenzen wie Datenalphabetismus die kognitiven und menschlichen Fähigkeiten zu vernachlässigen.
Rita Siilivask vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft in Estland berichtete, dass der aktuelle Stand der Digitalisierung im Land das Ergebnis eines langen Prozesses zwischen öffentlichem und privatem Sektor sei. »Estland hat eine sehr technikbegeisterte Bevölkerung und eine proaktive Regierung, deren strategisches Ziel es über Jahrzehnte war, E-Estonia aufzubauen«, berichtete sie. 99 Prozent der Bevölkerung sei online und es finde ein guter Datenaustausch zwischen den Systemen statt.
»Berufliche Schulen sind unabhängig und können auf Bedarfe eingehen«, sagte Siilivask. Im Land gebe es 32 Institute für Berufliche Bildung und sechs für höhere Bildung, orientiert werde sich dabei immer am europäischen Qualifikationsrahmen. Aber auch in Estland seien die Arbeitsplätze noch nicht ausreichend digitalisiert, was auch an den kleinen und mittleren Unternehmen liege. Die Unternehmen seien jedoch stark in Schulräten und bei der Ausarbeitung von Berufsstandards mit einbezogen. »Wir lehren Problemlösungsfertigkeiten und wollen ein Bewusstsein schaffen für Informationstechnologien ab der Vorschulbildung«, erklärte Siilivask. Wichtig sei dafür insbesondere die kontinuierliche Evaluation über Bewertungsinstrumente und ein Beobachtungssystem für Bedarfe auf dem Arbeitsmarkt.
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