Jugendliche nutzen YouTube als Bildungs- und Kulturort

(Geschätzte Lesezeit: 3 - 5 Minuten)
5 Jugendliche ohne Kopf

Hohe Bedeutung audiovisueller Lernformen für kulturelle Aktivitäten und beim Lernen für Schule  *  Bildung und Kultur aufgefordert, Bildungswelten besser zu verschränken 

Studie: Audiovisuelles Lernen in Form von Webvideos ist für Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren von großer Bedeutung und ein ganz normaler Teil ihres Alltags. Die Video-Plattform YouTube ist mit einer Nutzung von 86 Prozent der befragten Schüler und Berufsschüler eines ihrer digitalen Leitmedien. Fast die Hälfte der YouTube nutzenden Schüler*innen (47%) ziehen hier selbstständig Erklärvideos für das schulische Lernen heran, beispielsweise für Hausaufgaben oder Prüfungen, aber auch für künstlerische Fächer wie Musik, Kunst, Theater oder für AGs wie Chor oder die Schulband.

Für viele der Befragten sind die Clips in hohem Maße anregend, selbst künstlerisch aktiv zu werden. Ein Großteil der Jugendlichen ist sich auch der Vorteile von Unterricht gegenüber Webvideos sehr bewusst, zum Beispiel, dort Nachfragen stellen zu können. Ein Großteil, 60 Prozent der befragten YouTube-Nutzer, wünscht sich im Unterricht eine kritische Auseinandersetzung mit YouTube-Videos und der Plattform. Das sind die zentralen Ergebnisse der repräsentativen Studie »Jugend/YouTube/ Kulturelle Bildung. Horizont 2019« mit deutschlandweit 818 Befragten, die das unabhängige Expertengremium Rat für Kulturelle Bildung ausgewertet hat.

Überall, jederzeit, beliebig oft / veränderte Bildungslandschaft

Die klassische Bildungskonstellation von Lehren, Lernen und Wissen ändert sich durch die Digitalisierung grundlegend, wie die vorliegende Studie am Beispiel der Nutzung der Plattform YouTube durch Jugendliche zeigt. Selbstständige, informelle Praktiken des Lernens gewinnen an Bedeutung. Tutorials und Erklärvideos, die man sich überall und jederzeit beliebig oft ansehen kann, kommen offenbar den Erwartungen von Jugendlichen von eigenen Lernrhythmen und Lernzeiten entgegen. YouTube ist nicht primär als Bildungsmedium eingerichtet, hat aber, wie die Studie belegt, eine unerwartet hohe Bedeutung für den Bildungsbereich gewonnen. »Eine wichtige Schlussfolgerung aus der Studie ist, dass man dieses Medium nicht ignorieren darf. YouTube ist primär kein pädagogisches Medium, aber es ist tatsächlich inzwischen ein weiteres, wichtiges Lern- und Bildungsmedium, das die Bildungslandschaft im Ganzen berührt und verändert. Es ändern sich die Übungsformen der Schüler und damit auch die Voraussetzungen von Unterricht insgesamt. Man kann, wenn man das Medium schulseitig bewusst einsetzt, Unterricht anders aufbauen und auf diese Weise mehr Platz für individuelle Fragen und für Reflexion im Unterricht finden. Und man kann sich zur pädagogischen Eigenproduktion audiovisueller Medien anregen lassen«, sagt Prof. Eckart Liebau, Vorsitzender des Expertenrates.

Thema in Schule / Tipps von Freunden und Influencern am wichtigsten

Rund die Hälfte der befragten YouTube-Nutzer (52%) wünscht sich mehr Unterstützung seitens der Schule bei der Erstellung von Videos (Film/Schnitt/Beleuchtung). 56 Prozent glauben, dass die Bedeutung von YouTube in der Schule künftig zunehmen wird. »Die befragten Jugendlichen sind sich sehr klar über die Stärken, aber auch über die strukturellen Grenzen massenmedialer Vermittlung. Die Befunde appellieren an die der Schule eigenen Potenziale der gemeinsamen Reflexion und des Nachdenkens im generationsübergreifenden Zusammenhang«, so Benjamin Jörissen, Ratsmitglied und Lehrstuhlinhaber für Pädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, in seiner einordnenden Position in der Studie. Weitere Ergebnisse zeigen, dass die Jugendlichen sich nach eigener Einschätzung nicht nur von den Vorschlägen von YouTube leiten lassen (36 Prozent tun dies), sondern dass sie zu 53 Prozent mit einer gezielten Suche zu einem bestimmten Thema einsteigen. Bei der Auswahl von Videos greifen sie zu 91 Prozent auf Empfehlungen von Freunden zurück, zu 65 Prozent auf Influencer, zu 44 Prozent auf Tipps von der Familie; bei Tipps von Lehrern sind es 30 Prozent.

Ästhetisch-kreative Anregung / neue Genres

Wenn es in den Clips um ästhetische Praktiken und kulturelle Aktivitäten geht, regen die Videos Jugendliche stark an, selbst praktisch aktiv zu werden. Generell nach ihren kulturellen Interessen gefragt, geben Mädchen eine große Bandbreite an, wie Designen, Fotografieren, Tanzen, Singen, Zeichnen, bei Jungen sind es hauptsächlich Computerspiele. Dieser Unterschied ist weniger deutlich bei den digitalen kulturellen Genres und es gibt mehr gemeinsame Favoriten. Das liegt möglicherweise auch an der auf YouTube etablierten Remix-Kultur mit zahlreichen neuen, klassische Kultursparten übergreifende Mischformen wie Funny Clips, Let´s Play, Mashupvideos, Animation oder Sampling. Als wichtigste Anregung wird die Inspiration zum Nachahmen und Mitmachen genannt. Audiovisuelle Formate sind offenkundig besonders für das Lernen durch kreative Nachahmung und das körpernahe Lernen interessant.

Dieses vorhandene Interesse der Jugendlichen sollten Kulturinstitutionen aufgreifen. Der Expertenrat sieht eine wichtige Rolle bei den Kulturinstitutionen und Vermittlern Kultureller Bildung inner- und außerhalb von Schule, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten der digitalen Gestaltung und audiovisuellen Aufbereitung zu eröffnen, um sie dann auch reflektieren, beurteilen und selbst produzieren zu können.

Empfehlungen des Expertenrates im Überblick:

  • Digitalisierung als Aufgabe und Gegenstand der Kulturellen Bildung verstehen
  • Die Bedeutung der neuen Bildungskonstellation für kulturelle Teilhabe nutzen
  • Konsequenzen aus dem digitalen Lernen über Webvideos ziehen: Eigene audiovisuelle Formate entwickeln und in Fort- sowie Weiterbildung von Vermittlern implementieren
  • Das Bedürfnis der Jugendlichen aufgreifen: Hilfestellung bei der Erstellung von Videos leisten und Raum für kritische Auseinandersetzung schaffen · Bildungswelten (Bereiche formal/schulisch, non-formal/außerschulisch und informell/selbstorganisiert) stärker verschränken
  • Politik ist aufgefordert, Rahmen zur Entwicklung nichtkommerzieller Räume für digitale Kulturpraktiken zu schaffen

Hintergrund
Der Rat für Kulturelle Bildung ist ein unabhängiges Beratungsgremium, das sich umfassend mit der Lage und der Qualität Kultureller Bildung in Deutschland befasst. Ihm gehören elf Mitglieder an, die verschiedene Bereiche der Kulturellen Bildung repräsentieren: Tanz- und Theaterpädagogik, Musik- und Literaturvermittlung, Bildungsforschung, Erziehungswissenschaften, Pädagogik, Medienpädagogik, Politische Bildung, Soziologie, Kulturelle Bildung und die Künste. Der Rat für Kulturelle Bildung ist eine Initiative der Bertelsmann Stiftung, Deutsche Bank Stiftung, Karl Schlecht Stiftung, PwC-Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator und der Stiftung Nantesbuch.

Die Studie »Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019« wurde vom unabhängigen Expertengremium Rat für Kulturelle Bildung konzipiert und begleitet. Die Durchführung lag beim IFAK Institut GmbH & Co. KG, Taunusstein. Ermöglicht wurde die Studie durch Mittel des Stiftungsverbundes Rat für Kulturelle Bildung e. V. sowie durch eine zusätzliche Förderung der Deutsche Bank Stiftung, der PwC-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung GmbH und der Stiftung Mercator.

   

  LINKS  

 

Jedes zweite Unternehmen bietet KI-Weiterbildung an - Engagement aber noch begrenzt
Hoher Weiterbildungsbedarf, aber geringe Umsetzung Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom zeigen, dass viele Unternehmen in Deutschland den Weiterbildungsbedarf ihrer Mitarbeiter im Bereich Künstliche Intelligenz (...
BA-Etat 2025: Milliardenbudget für Weiterbildung und moderne IT-Lösungen
Bundesagentur für Arbeit setzt auf Weiterbildung und Digitalisierung Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat den Haushalt für das Jahr 2025 beschlossen und plant trotz konjunktureller Belastungen umfangreiche Investitionen in die Fachkräftesicherung...
Monitor Digitalisierung 360° – Von der Strategie in die Umsetzung?
Stand der Digitalisierung an deutschen Hochschulen Das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) hat mit dem zweiten »Monitor Digitalisierung 360°« eine umfassende Analyse zur Digitalisierung in Studium und Lehre an deutschen Hochschulen veröffentlicht...

Die fünf meistgelesenen Artikel der letzten 30 Tage in dieser Kategorie.

 

  • »Mein Bildungsraum« in der Kritik

    Kurzbesprechung des Artikels »Digitalisierung: Großprojekt des Bundes "Mein Bildungsraum" in der Kritik« von Dorothee Wiegand Der Artikel von Dorothee Wiegand (veröffentlicht auf heise.de) bietet einen umfassenden Überblick zum BMBF-Projekt »Mein...

  • Informatikunterricht in Deutschland: Große Fortschritte, aber noch viel zu tun

    Informatik-Monitor 2024/25: Fortschritte und Herausforderungen  Im Schuljahr 2024/25 werden fast drei Viertel aller Schülerinnen und Schüler Informatik als Pflichtfach belegen. Das geht aus dem aktuellen Informatik-Monitor 2024/25 hervor, den die...

  • Bildungsplattform »Mein NOW«: Potenzial ungenutzt

    Portal »mein NOW«: Kritik an Usability und Zielgruppenansprache Die Bildungsjournalistin Gudrun Porath hat in einer Kolumne auf Haufe.de das Online-Portal »mein NOW« kritisch beleuchtet und kommt zu dem Schluss, dass die Weiterbildungsplattform »hinter den...

  • Anhörung zum AFBG: Experten für die Förderung beruflicher Weiterbildung

    Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (AFBG), der insbesondere der Stärkung der beruflichen Weiterbildung und Fachkräftesicherung dienen soll, ist bei einer öffentlichen...

  • Fünf Wege zu mehr Flexibilität: Empfehlungen für die nachschulische Bildung

    Übergänge in Ausbildung und Studium - Wie die Politik in Zeiten des Fachkräftemangels nachschulische Bildung gestalten muss Expert*innen plädieren für mehr Flexibilität in der nachschulischen Bildung Der deutsche Arbeitsmarkt steht vor einer großen...

 

 

.