Wie Dax-Unternehmen an Schulen Lobbyismus betreiben
Wie DAX-Unternehmen Schule machen * Lehr- und Lernmaterial als Türöffner für Lobbyismus
Sanierungsbedürftige Schulgebäude, gesunkene Schulbuchetats, begrenzte Kopierkontingente und die wachsende Bedeutung fachfremder Lehrkräfte ebnen mehr und mehr Privatunternehmen den Weg hinter die Schultore. Das ist ein Ergebnis der Studie »Wie DAX-Unternehmen Schule machen«, die jetzt von der Otto Brenner Stiftung veröffentlicht worden ist. Die Untersuchung analysiert den stetig wachsenden Einfluss von Industrie und Wirtschaft auf die Schulen in Deutschland. Sie zeigt, dass Unternehmen intensiver denn je im einstigen »Schonraum Schule« für ihre Produkte und Dienstleistungen werben, dort um künftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer buhlen oder mittels Lehrmaterialien auf die Prägung der Vor- und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern setzen. Kostenlose Unterrichtsmaterialien stellen dabei der Studie zufolge die prägendste Form der Beeinflussung dar.
Zwei Drittel der DAX-Unternehmen in Schulen präsent
Studienautor Tim Engartner, Professor für die Didaktik der Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt politische Bildung an der Goethe-Universität Frankfurt, hat erstmalig die Verbreitung von Lehr- und Lernmaterialien durch große deutsche Unternehmen untersucht. Sein Befund: Zwanzig von dreißig DAX-Unternehmen bieten entsprechende Materialien an. »Die Finanzierung, Entwicklung und zumeist kostenlose Verbreitung von Unterrichtsmaterialien stellen heute das zentrale Vehikel zur Einflussnahme auf den Unterricht dar«, konstatiert Engartner. Der profilierte Experte auf dem Gebiet der (schulischen) Lobbyismus-Forschung hat zudem festgestellt, dass Unternehmen bisweilen dieses Engagement mit der Entsendung unternehmenseigener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Lehrpersonal verbinden. Engartner befürchtet, dass der »unternehmerische Zugriff« auf die Schule als »Erfahrungs-, Schutz- und Sozialisationsraum für Kinder und Jugendliche« durch die steigende Zahl fachfremder Lehrkräfte und die Erosion der Lernmittelfreiheit künftig noch zunehmen wird.
Wie die Studie zeigt, reicht das Engagement schon jetzt von Unterrichtsmaterialien, die das Zeichnen von Briefmarken thematisieren (Deutsche Post), über die Gestaltung von Wimmelbüchern (Bayer) bis hin zu Illustrationen im Pixi-Format (Deutsche Börse). Die Materialien orientieren sich dabei inhaltlich meist an den Aktivitäten und Branchen der Unternehmen. Sie unterscheiden sich jedoch nicht nur thematisch, sondern auch mit Blick auf Qualität und Intensität. »Die meisten der untersuchten Unterrichtsmaterialien lösen keinen Allgemeinbildungsanspruch ein, sondern fokussieren Themen der Finanz-, Energie- und Automobilwirtschaft«, bilanziert Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung. Und weil dies in teils tendenziöser Art und Weise geschieht, diene das Schul-Engagement oftmals weniger der Förderung des Gemeinwohls, als dem Eigennutz der Unternehmen, so die Analyse von Autor und Stiftung.
Die Kleinsten der Kleinen im Visier
Fast alle der im Feld der Unterrichtsmaterialien aktiven DAX-Unternehmen (17 von 20) adressieren mit speziellen Angeboten explizit auch Grundschulkinder (Primarstufe), einige wenige erstellen zusätzlich Materialien für Kindergärten. »Die Kleinsten der Kleinen schon direkt anzusprechen zeigt exemplarisch, um was es mit diesem Engagement viel zu oft geht: Frühzeitige Kundengewinnung, aber auch die Propagierung bestimmter Weltbilder«, konstatiert Legrand, »der `Schonraum Schule´ wird damit zum Marktplatz und die Lerninhalte verlieren ihre demokratische Legitimation.« Vielfach stünde nicht die Würde des Menschen im Mittelpunkt dieser unternehmerischen Bemühungen, sondern die Freiheit des Marktes, heißt es im Vorwort des Geschäftsführers zur Studie.
Als Konsequenz schlagen Autor und Stiftung eine stärkere Regulierung privater Lehr- und Lernmaterialien vor. So gäbe es zwar lobenswerte Beispiele, wie sich Schulen gegen Lobbyeinflüsse wehren, aber eine »kohärente Praxis kritischer Wachsamkeit«, beispielsweise durch eine bundesweite Prüfstelle für Unterrichtsmaterialien privater Content-Anbieter, liege »leider noch in weiter Ferne«, stellt Prof. Engartner nüchtern fest. Er appelliert an die bildungspolitisch Verantwortlichen, diese (Schul-)Aufgabe koordiniert anzugehen.
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