Erasmus+ finanziert keinen Urlaub
Auslandsaufenthalt als Teil der Berufsausbildung
Dass ein Auslandsaufenthalt in der beruflichen Bildung kein Urlaub ist, können über 25.000 junge Menschen bestätigen. Lernen im Ausland ist eine Herausforderung und erfordert Engagement und Flexibilität. Sie werden dafür – wie auch ihre Ausbildungsbetriebe – mit wichtigen Schlüsselkompetenzen und einer fachlichen Horizonterweiterung belohnt. Dies ist jedoch nicht gemeint.
Ein Auslandsaufenthalt im Programm Erasmus+ ist ein Teil der Ausbildung. Das Berufsbildungsgesetz sieht vor, dass bis zu einem Viertel der Ausbildungszeit im Ausland verbracht werden kann. Die Förderung im Programm Erasmus+ ist zweckgebunden, hierfür ist zudem eine Lernvereinbarung zwischen dem Auszubildenden, der entsendenden und der aufnehmenden Einrichtung abzuschließen. Mit Urlaub hat dies nichts zu tun.
Die NA beim BIBB erreichen immer wieder Hinweise, dass Auszubildende Urlaub nehmen müssen, um am Programm teilnehmen zu können. Diese Hinweise stellen aber nur die Spitze des Eisbergs dar. Völlig unbekannt war bisher, wie viele Auszubildende tatsächlich hiervon betroffen sind. Eine anonyme Befragung der Projektträger im Programm Erasmus+ hat uns nunmehr geholfen, eine abgesicherte Größenordnung zu ermitteln.
Zahlen belegen: Handlungsbedarf geboten
Seit dem Jahr 2014 mussten mindestens 1.400 Auszubildende und Berufsschülerinnen eigenen Urlaub – oft mehr als eine Woche - einbringen, um von ihrem Ausbildungsbetrieb die Freistellung für die Teilnahme am Erasmus+-Programm zu bekommen. Dabei stellt diese Zahl die absolute Untergrenze dar, realistisch ist eher die doppelte Zahl. Die betroffenen Jugendlichen investieren mindestens sieben Tage Urlaub, manche auch zwei Wochen und mehr.
Eine wohlwollende Erklärung liegt darin, dass viele Betriebe aus Unwissenheit und nicht mit böser Absicht so handeln und deshalb von ihren Auszubildenden verlangen, Urlaub einzubringen. Gerade kleine Unternehmen erreichen bei der Vielzahl von Regeln, die sie beachten müssen, schnell ihre Grenzen, da ist das Programm Erasmus+ oder der entsprechende Paragraph des Berufsbildungsgesetzes weit weg. Die NA beim BIBB hat deshalb ein Informationsblatt erstellt, das leicht verständlich die Rahmenbedingungen der Förderung erläutert.
Ein weiteres Motiv besteht vermutlich darin, dass man von den Jugendlichen einen Eigenbeitrag zum Auslandsaufenthalt wünscht, schließlich ermöglicht das Unternehmen ihn überhaupt. Urlaubstage sind jedoch kein zulässiger Beitrag. Unternehmen, denen das Engagement ihrer Auszubildenden wichtig ist, sollten auf andere Formen ausweichen: Einsatz bei der Betreuung ausländischer Gäste (möglichst auch Auszubildende), Präsentationen oder Ähnliches böten sich hierfür zum Beispiel an.
Zum Dritten gibt es Unternehmen, die vom Sinn eines Auslandsaufenthaltes nicht überzeugt sind. Die Erfahrungsberichte teilnehmender Betriebe, Berufsschulen und Auszubildender sprechen jedoch eine andere Sprache: Auslandsaufenthalte stellen einen Mehrwert dar, der gerade auch den Unternehmen zu Gute kommt. Empirische Studien für die EU-Kommission, das Bundesministerium für Bildung und Forschung oder die NA beim BIBB (zum Beispiel die Mobilitätsstudie) untermauern dies. Und schließlich kann nicht jedes Unternehmen für mehrere Wochen auf einen Auszubildenden verzichten.
Zukünftige Schritte der NA beim BIBB
Alle Motive sind selbstverständlich legitim. Und dennoch: Die Fördermittel des Programms Erasmus+ können nur für solche Auslandsaufenthalte eingesetzt werden, die Teil der Berufsausbildung oder beruflichen Weiterbildung sind. Es ist daher unser erstes Anliegen, die Information und Aufklärung zu verbessern. Wir haben die zuständigen Stellen (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern) um Unterstützung bei der Beratung und Information gebeten, da sie oft den direkten Zugang zu den Betrieben haben. Unterstützung erhalten Sie auch bei den Mobilitätsberatern der Kammern, die zu den Förderprogrammen beraten und bei der Umsetzung unterstützen. Ultima Ratio kann jedoch die Rückforderung der Finanzhilfe des Programms Erasmus+ sein, die ja an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Ob es hierzu kommen kann, liegt in der Hand der betroffenen Ausbildungsbetriebe.
Die betroffenen Auszubildenden zeigen ein großes Engagement: Sie sind bereit, in erheblichem Umfang Urlaubstage für ihre Ausbildung (und letztlich für ihren Ausbildungsbetrieb) zu investieren. Dem sollten Unternehmen mit Wertschätzung und Respekt begegnen.
Hintergrund
Im Sommer 2019 wurden 1.342 Projektkoordinatoren, die seit 2014 mit europäischen Mitteln des Programms Erasmus+ gefördert worden waren, mittels einer Umfrage kontaktiert. 521 Personen aus Berufsschulen, Vereinen oder Betrieben fühlten sich angesprochen und nahmen an der Umfrage teil. Knapp 40 Prozent davon gaben an, dass sie bereits mit der Problematik der Urlaubsbeantragung von Auszubildenden für ihren Auslandsaufenthalt in Berührung gekommen sind.
Diese Personen wurden gebeten die Häufigkeit der Thematik einzuschätzen. Es zeigte sich ein gemischtes Bild. Die höchste Zustimmung mit 12,96 Prozent lag bei der Äußerung, dass es sich um eine regelmäßig zu beobachtende Praxis handle und die Problematik eine relevante Zahl der Auszubildenden beträfe.
Häufigkeit der Praxis
Die Erhebung ließ auch eine Einschätzung vornehmen zum Verhältnis der Urlaubstage zu der gesamten Dauer des Auslandsaufenthalts. Die Umfrageteilnehmenden gaben an, dass die meisten Auszubildenden 25 bis 50 Prozent ihres Auslandsaufenthaltes mit eigenen Urlaubstagen ergänzen mussten.
Die Zeitspanne eines Auslandsaufenthaltes für duale Auszubildende im Erasmus+-Programm kann von zwei Wochen bis zu zwölf Monaten reichen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Lernenden liegt bei 28 Tage. Setzt man diese Zahl in einen Zusammenhang mit den erhobenen Werten, so ergibt sich als Unter- und Obergrenze eine Einbringung von 7 bis 14 Tagen Urlaub pro Auslandsaufenthalt.
Die Gesamtheit aller seit 2014 mit Erasmus+ geförderten Auszubildenden der primären, dualen Berufsbildung umfasst 45.174 Personen. Stellt man die Umfrageergebnisse in Bezug zur dieser Gesamtheit liegt das prozentuale Ausmaß der Personen, die eigenen Urlaub einbringen mussten, zwischen 3,17 Prozent (1.430 Personen) und 12,22 Prozent (5.519 Personen).
QUELLE: NA-BIBB; Autor: Klaus Fahle ist Leiter der Nationalen Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung
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