Weiterbildung 4.0 - Wie weit trägt die Nationale Weiterbildungsstrategie?

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Positionspapier auf Basis der gleichnamigen Fachkonferenz 

Am 2. Dezember 2019 diskutierten rund 120 Expert*innen aus Wissenschaft, Politik, Verbänden und Weiterbildungspraxis die im Sommer verabschiedete Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) auf einer Fachkonferenz. Dabei bestand große Einigkeit, dass die NWS die zentralen Herausforderungen treffend beschreibt und das Thema Weiterbildung prominent auf die politische Agenda hebt. Skepsis herrschte jedoch hinsichtlich der Frage, inwiefern die Ziele der NWS mit den vorgeschlagenen Maßnahmen allein erreicht werden können.

Aus Sicht der Teilnehmenden bietet die NWS durch die breite Beteiligung relevanter Akteure eine große Chance zur Systematisierung der Weiterbildungslandschaft. Allerdings fehlt bisher eine strategische Gesamtvision, aus der sich ein Konzept zur Steuerung, Finanzierung und Weiterentwicklung ableiten ließe. Die NWS geht in ihrer jetzigen Form nicht weit genug, um bestehende Teilhabedisparitäten und Weiterbildungsbarrieren abzubauen und dem absehbaren Mangel an Fachkräften wirksam entgegenzutreten. Signale für einen wirksamen Aufschlag, wie etwa einen Staatsvertrag oder ein Bundesrahmengesetz, fehlen. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Weiterbildung angesichts der digitalen Transformation unserer Gesellschaft in ihrer Bedeutung der schulischen, beruflichen und akademischen Ausbildung gleichgestellt werden muss.

Fünf zentrale Handlungsfelder für die Weiterentwicklung der NWS wurden ausgemacht:

 

I. Zeit und Geld für Weiterbildung bereitstellen

  1. Damit Weiterbildung zu einem festen Bestandteil jeder Erwerbsbiografie werden kann, müssen finanzielle Hürden gesenkt, zusätzliche Anreize gesetzt, Freistellungen geregelt und das individuelle Recht auf Weiterbildung gesetzlich verankert werden.
  2. Die Vielzahl bestehender Einzelregelungen hat zu Unübersichtlichkeit, Überlappungen und Lücken geführt. Sie sollte durch eine transparente Finanzierungsarchitektur ersetzt werden, die eine faire Lastenverteilung zwischen Lernenden, Betrieben, und Staat ermöglicht. Denn von Weiterbildung profitieren alle: die Einzelnen durch den Erhalt und die Weiterentwicklung ihrer Beschäftigungsfähigkeit sowie die Förderung ihrer Persönlichkeit, Arbeitgeber*innen, indem sie die dringend benötigten Fachkräfte zur Verfügung gestellt bekommen, und die Gesellschaft als Ganzes, weil Weiterbildung einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.
  3. Die aktuell existierenden Regelungen zu Lernzeitansprüchen weisen Lücken auf und divergieren in ihren Reichweiten. Deswegen ist eine bundesgesetzliche Regelung notwendig, die insgesamt mehr Bildungszeit schafft. Beispiele dafür sind die Einführung von Bildungsteilzeiten und die Möglichkeit von Bildungskarenzen.

II. Verlässliche Strukturen schaffen, Qualität sichern

  1. Wenn der Berufs- oder Studienabschluss künftig nicht mehr die End-, sondern lediglich eine Zwischenstation auf dem individuellen Bildungsweg sein wird, darf die Weiterbildung in ihrer Relevanz der Erstausbildung nicht länger nachstehen. Deshalb sollte der öffentliche Bildungsauftrag erweitert und auch Weiterbildung Teil öffentlicher Verantwortung werden.
  2. Um strukturelle Defizite in der Weiterbildung zu beheben, Transparenz zu erhöhen und Qualität zu verbessern, müssen – wie in anderen Bildungssektoren – klare Regelungen und Verantwortlichkeiten geschaffen werden.
  3. Vergleichbar zur Organisationsstruktur der beruflichen Erstausbildung sollte ein »Hauptausschuss für Weiterbildung« eingerichtet werden. In diesem Gremium könnten eine langfristig ausgerichtete Weiterbildungsstrategie entwickelt werden, eine Verständigung über die notwendigen Kompetenzen für die digitale Arbeitswelt stattfinden und entsprechende Weiterbildungsmodule für die unterschiedlichen Branchen und Berufsfelder bzw. in weiten Teilen auch berufsfeldübergreifend konzipiert werden.

III. Kompetenzen sichtbar machen und anerkennen

  1. Die heute existierenden Projekte zur Kompetenzanerkennung haben teilweise eine sehr geringe Reichweite und Verbindlichkeit. Um die Schätze der vielen derzeit nicht sichtbaren Fähigkeiten und non-formal erworbenen Qualifikationen bei Beschäftigten und Arbeitsuchenden erfolgreich zu heben, sollte an ihre Stelle eine bundesweite, rechtlich abgesicherte Regelung treten.
  2. Damit ein entsprechendes System Wirkung entfaltet, muss es flächendeckend verfügbar, breit zugänglich, standardisiert und verbindlich sein. Außerdem sollte es Zertifikate bereitstellen, die auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind und die auch Teile von Vollberufen abbilden können.
  3. Die Zertifikate des Berufsbildungssystems sind am Arbeitsmarkt bekannt und anerkannt. Daher sollten die formalen Berufsabschlüsse als Referenzpunkte und Maßstab der Zertifizierung informell und non-formal erworbener Kompetenzen dienen. Die etablierten Akteure des Berufsbildungssystems könnten in einem Hauptausschuss Weiterbildung auch im Anerkennungssystem die Rolle der Qualitätssicherung übernehmen, zum Beispiel durch die Akkreditierung von Prüfungsverfahren und -institutionen.

IV. Teilqualifikationen standardisieren und ausbauen

  1. Derzeit existieren unterschiedliche Zuschnitte von Teilqualifikationen nebeneinander, zum Teil in den gleichen Berufen. Damit entsprechende Weiterbildungen künftig trägerübergreifend aufeinander abgestimmt sind und Lernende wie Arbeitgeber*innen die dort vermittelten Kompetenzen besser einschätzen können, sollte ein einheitliches System von Teilqualifikationen etabliert werden. Eine Rückkopplung mit den Ordnungsverfahren in der Berufsbildung ist dabei sinnvoll, um sicherzustellen, dass Neuerungen in den Ausbildungsordnungen auch in Teilqualifizierungen aufgegriffen werden.
  2. Solche verbindlichen Teilqualifikationen sollten in Tarifverträgen aufgenommen werden. So lässt sich über einen mehrfach abgestuften Stundenlohn ein Anreiz für die Lernenden setzen,
    schrittweise weitere Teilqualifizierungen bis zum beruflichen Vollabschluss zu absolvieren.
  3. Nötig ist schließlich eine Verbindung von Teilqualifikationen mit Kompetenzfeststellungs-, Validierungs- und Anerkennungsverfahren. Damit können zum Berufsabschluss fehlende Kompetenzen vorab systematisch erfasst und die Lernenden in entsprechenden Teilqualifizierungsmodulen bedarfsgerecht nachqualifiziert werden.

V. Professionalisierung der Lehrkräfte stärken

  1. Die Weiterbildungsträger sollten ihre Anforderungen an die Kompetenzen des Lehrpersonals im Rahmen eines einheitlichen Systems definieren. Auf dieser Basis können Lehrkräfte ihre fachlichen und didaktischen Fähigkeiten gezielt entwickeln. Gleichzeitig schaffen einheitliche Standards Orientierung für Arbeitgeber*innen, Lernende und Lehrkräfte.
  2. Um den großen Bedarf an kompetenten Lehrenden zu decken, sollten trägerübergreifende Kompetenzbilanzierungen genutzt und mit einer flächendeckenden Fortbildungsoffensive verknüpft werden. Diese müsste neben fachlichen, didaktischen und pädagogischen Kompetenzen auch die Bewertung von und den sinnvollen Umgang mit digitalen Tools einschließen.
  3. Es ist wichtig, Anreize dafür zu setzen, dass sich die Beschäftigten in der Weiterbildung an der Qualitätsoffensive beteiligen. Daher sollte sich ein höherer Grad an Professionalisierung für
    die Lehrkräfte in besseren Arbeitsmarkt- und Verdienstchancen niederschlagen. Dies gilt insbesondere für öffentlich finanzierte Weiterbildungsangebote.

Schlussbemerkung
Ziel des Positionspapiers ist, einen Beitrag für den Umsetzungsprozess der NWS zu leisten und die Arbeit der beteiligten Ministerien ebenso konstruktiv wie kritisch zu begleiten. Die Umsetzung der NWS soll im Frühjahr 2021 abgeschlossen sein.

Lizenz: Creative Commons (CC-BY 4.0)

 

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