Ökonomisierung schulischer Bildung
Eine verlässliche digitale Vernetzung zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen gibt es derzeit nur dort, wo sich zum Beispiel ein Förderverein dafür eingesetzt hat. In Zeiten von »Homeschooling«, also Unterricht zuhause wegen des Corona-Virus, tritt dieses Versäumnis deutlich zu Tage. Wer aber glaubt, mit dem 5,5 Milliarden Euro schweren »DigitalPakt Schule« sei der Weg aus der Bildungsmisere gefunden, der irrt.
Die aktuelle Studie »Ökonomisierung schulischer Bildung. Analyse und Alternativen« zeigt, wie die so genannten »Big Five«, die fünf großen Digitalkonzerne Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft, mit großem Nachdruck in die Schulen drängen, um dort ihre Produkte zu vermarkten.
»Die Digitalisierung der Schulen ist bislang eher von ökonomischen Interessen als von pädagogischen Konzepten geprägt, weshalb abzuwarten bleibt, ob der Milliarden Euro schwere ,DigitalPakt Schule' Lehrenden und Lernenden das Lehren und Lernen wirklich erleichtern wird«, sagt Tim Engartner, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der die Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt hat. »Ich sehe die Gefahr, dass die Digitalisierung der Bildungswelten zum weit geöffneten Einfallstor für Unternehmensinteressen wird, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen seitens der zuständigen Ministerien fehlen«.
Die Ökonomisierung schulischer Bildung geht mittlerweile weit über das private Sponsoring von Schulfesten oder die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien durch Unternehmen hinaus. Mindestens zwei Dutzend unternehmensnahe Schulbuchverlage, Stiftungen und Verbände bieten Lehrerfort- und -weiterbildungen an. Diese sind oft mehrtägig und im Gegensatz zu Angeboten zum Beispiel von Hochschulen und Ministerien vielfach kostenlos.
Die Studie belegt an verschiedenen bildungspolitischen Diskursen die Ökonomisierungstendenzen im Bildungssystem: sei es die Debatte um die »Schulzeitverkürzung« nach den Vorgaben des achtjährigen Gymnasiums (»G8«), die Expansion ökonomischer Bildung in den Stundentafeln oder die curriculare Aufwertung der auf Arbeitsmarktrelevanz zielenden Berufsorientierung. An 59 geforderten und teilweise neu eingeführten Unterrichtsfächern wird dargelegt, dass die Verwertbarkeit von Bildung immer häufiger zum Maßstab schulischer Lehr- und Lernprozesse wird.
Analysiert werden die Gesetzmäßigkeiten und Gründe der fortschreitenden Ökonomisierung schulischer Bildung und deren Ursachen, wie zum Beispiel die chronische Unterfinanzierung des Schulsystems in allen Bereichen. Anhand von Positivbeispielen ausgewählter Schulen wird gezeigt, wie es anders geht und schließlich acht schulpolitische Forderungen formuliert.
Dagmar Enkelmann, Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung richtet den Fokus auf die Bildungsgerechtigkeit: »Der Einfluss der führenden Internetkonzerne auf den milliardenschweren 'Bildungsmarkt' wächst. Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Gleichzeitig müssen wir die mangelnde Bildungsgerechtigkeit im Blick behalten. Die in unserem Schulsystem angelegte Verfestigung sozialer Ungleichheiten verschärft sich in Krisenzeiten. Wird das Klassenzimmer digital aufgerüstet, fehlen gerade Kindern aus sozial benachteiligten und migrantischen Familien die grundlegenden Voraussetzungen für 'Homeschooling'. Bei einer entsprechenden Grundausstattung für alle schafft die Digitalisierung aber auch völlig neue Möglichkeiten für die Aneignung von Wissen und die Gestaltung von Kommunikation«.
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