Sofortmaßnahmen für ein hybrides Schuljahr
Digitale Medien könnten im neuen Schuljahr verstärkt genutzt werden, um trotz Corona guten Unterricht zu gewährleisten, den Zugang zu Bildung zu sichern und die Schere zwischen Schülerinnen und Schülern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien nicht noch weiter auseinander gehen zu lassen. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) schlägt Sofortmaßnahmen für ein hybrides Schuljahr vor, um die Digitalkompetenz bei Lehrenden und Lernenden zu stärken und auf mögliche Unterbrechungen des Regelbetriebs vorbereitet zu sein.
Von der Hoffnung, dass in der Sommerpause gute Konzepte entwickelt würden, scheint zu Beginn des neuen Schuljahres nicht viel übrig geblieben zu sein. Die Finanzierung von digitalen Endgeräten – vor allem für Kinder und Jugendliche, deren Familien sich dies nicht leisten können – ist zweifellos wichtig, löst aber nur einen Teil der Probleme. Die IAQ-Forscherin Prof. Dr. Sybille Stöbe-Blossey verweist auf Befunde aus dem kürzlich erschienen Nationalen Bildungsbericht: »Viel größer als die sozialen Unterschiede bei der Ausstattung mit digitalen Medien sind die Unterschiede in der digitalen Kompetenz – zwar ist die Nutzung digitaler Medien für die meisten Jugendlichen (und auch für die aktuelle Elterngeneration) selbstverständlich, aber oft eher zur Unterhaltung.« Diese grundsätzliche Selbstverständlichkeit könne jedoch als Anknüpfungspunkt genutzt werden, um den Einsatz digitaler Lehr- und Lernwerkzeuge besser vorzubereiten.
Dass der von allen ersehnte »Regelbetrieb« schnell wieder unterbrochen werden kann, zeigen erste Schulschließungen in Norddeutschland, obwohl dort die Infektionszahlen deutlich niedriger sind als in NRW. Umso wichtiger wäre es, gerade die ersten Schulwochen dazu zu nutzen, um ein hybrides Schuljahr 2020/21 vorzubereiten. Die Digitalkompetenz von Schülerinnen und Schülern ebenso wie von Lehrkräften muss weiterentwickelt werden. Und es gilt die Kombination von Distanz- und Präsenzunterricht konzeptionell zu gestalten, bevor man darüber nachdenken kann, wie Leistungen im Distanzunterricht zu benoten sind, so die Forscherin, deren Team an Projekten zur Digitalisierung im Bildungsbereich arbeitet.
Der Nationale Bildungsbericht ebenso wie Erfahrungen aus dem Frühjahr haben gezeigt, dass digitales Lernen bislang, wenn überhaupt, dann eher als Ersatz für Arbeitsblätter und Schulbücher verwendet wird – die interaktiven Möglichkeiten werden noch wenig genutzt. Lernen lebt aber von Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Lehrkräfte müssen daher flächendeckend die Möglichkeit erhalten, jenseits privater Initiative auf Videokonferenz-Tools zurückzugreifen. Für die digitale Schulplattform »Logineo NRW« sind solche Funktionen zwar angekündigt; da sie zu Beginn des Schuljahres noch nicht vollständig verfügbar sind, sind kurzfristige Zwischenlösungen erforderlich, bspw. durch professionelle Lizenzen für Videokonferenz-Tools für Schulen nach dem Vorbild der Hochschulen. »Lehrkräfte an Schulen sollten für digitales Lernen mindestens die Unterstützung erhalten, die wir an den Hochschulen bekommen haben«, fordert Stöbe-Blossey. Diese Tools können auch für die Kommunikation zwischen Schulen und Eltern genutzt werden – die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft und die bildungspolitisch angestrebte Öffnung von Schule haben in besonderem Maße unter den Kontaktbeschränkungen gelitten.
Zunächst sollten nun Szenarien für alters- und zielgruppenorientierte Kombinationen von Präsenz- und Distanzlernen erarbeitet werden, die je nach Entwicklung des Infektionsgeschehens zum Einsatz kommen können. Dabei geht es um die Planung von möglichst viel Präsenz für jüngere und für bildungsbenachteiligte Schüler*innen und um den intensiven Einsatz von Distanzlernen für Schüler*innen der gymnasialen Oberstufe, um Einschränkungen ihrer Kurswahlmöglichkeiten durch das Infektionsschutzprinzip der festen Lerngruppen zu vermeiden. Für Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe bildet Distanzlernen eine gute Vorbereitung auf da Studium – für Gleichaltrige in der Ausbildungsvorbereitung am Berufskolleg ist eine engere Begleitung mit mehr Präsenz erforderlich. Für eventuell notwendige Phasen der Schulschließung sollten Lösungen vorbereitet werden, um Kindern und Jugendlichen, die in beengten Wohnverhältnissen leben oder zuhause nicht betreut werden können, begleitetes Lernen in Kleingruppen an der Schule zu ermöglichen. Gerade für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche, so Stöbe-Blossey, könnte der Traum vom Regelbetrieb schnell zum Alptraum werden, wenn darüber die dringend notwendige konzeptionelle Arbeit und die Vorbereitung praktikabler Hybrid-Lösungen versäumt wird.
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