PISA-Sonderauswertung weist auf Weiterbildungsbedarf von Lehrkräften hin
Den Schulen in vielen Bildungssystemen weltweit gelingt es nicht, Mädchen und Jungen die gleichen Chancen zu bieten, Kenntnisse über globale und multikulturelle Themen zu erwerben und dieses Wissen anzuwenden. Zu diesem Ergebnis kommt eine PISA-Sonderauswertung der OECD.
Are Students Ready to Thrive in an Interconnected World? beruht auf den Daten der PISA-Erhebung 2018, bei der erstmals auch die sogenannte globale Kompetenz von Schülerinnen und Schülern untersucht wurde. Dabei ging es unter anderem um ihr Wissen zu Themen von lokaler und globaler Bedeutung, wie beispielsweise öffentliche Gesundheit sowie ökonomische und ökologische Fragen. Desweiten ging es um ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und Einstellungen zu interkulturellen Themen. An dem Test nahmen Schüler*innen aus 27 Ländern teil. Über den Test hinaus gab es einen Fragebogen zur globalen Kompetenz. Diesen beantworteten Schüler*innen, Lehrkräfte, Eltern und Schulleitungen in insgesamt 66 Ländern und Volkswirtschaften. An dem Fragebogenteil der Erhebung beteiligten sich auch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Die Ergebnisse zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede sowohl bei den Möglichkeiten, globale Kompetenz zu erwerben, als auch bei den Fähigkeiten und Einstellungen der Schüler*innen zu globalen und interkulturellen Themen. Im Schnitt der OECD-Länder gaben Jungen häufiger als Mädchen an, an Aktivitäten teilzunehmen, bei denen von ihnen erwartet wird, dass sie ihre Meinung äußern und diskutieren. Mädchen gaben derweil häufiger als Jungen an, an Aktivitäten teilzunehmen, in denen es um Verständnis und Kommunikation in interkulturellen Situationen geht.
Jungen beispielsweise lernen eher etwas über die Vernetzung der Wirtschaft verschiedener Länder. Sie suchen eher im Internet nach Nachrichten oder schauen während des Unterrichts gemeinsam Nachrichten an. Sie werden auch häufiger von den Lehrkräften aufgefordert, ihre persönliche Meinung zu internationalen Nachrichten zu äußern, nehmen häufiger an Klassendiskussionen über Weltereignisse teil und analysieren globale Themen mit ihren Klassenkameraden.
Mädchen gaben dagegen häufiger an, dass sie lernen, wie sie Konflikte mit Mitschüler*innen in der Klasse lösen, welche Unterschiede es zwischen verschiedenen Kulturen gibt und wie es dazu kommt, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen bei manchen Themen unterschiedliche Sichtweisen haben. Diese Tendenzen zeigten sich überwiegend auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Die beschriebenen Geschlechterdifferenzen mögen dabei auf persönliche Interessen und eine unterschiedliche Selbstwirksamkeit zurückzuführen sein – also Unterschiede in dem Vertrauen in sich selbst, auch schwierige Situationen aus eigener Kraft bewältigen zu können. Sie könnten aber auch widerspiegeln, wie Mädchen und Jungen in Familie und Schule sozialisiert werden, so die Autoren.
»Bildung hilft jungen Menschen entscheidend dabei, sich in dieser zunehmend komplexen und vernetzten Welt zurechtzufinden«, so OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. »Die Schulen und Bildungssysteme, denen es am besten gelingt, Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen in Bezug auf globale Entwicklungen bei jungen Menschen zu fördern, haben etwas gemeinsam: Sie haben Lehrpläne, in denen Weltoffenheit eine wichtige Rolle spielt, sie sorgen für eine positive und inklusive Lernumgebung, und sie bieten Möglichkeiten, Beziehungen mit Personen aus anderen Kulturen einzugehen.«
Die Ergebnisse zeigen, wie entscheidend die Rolle der Lehrkräfte ist, damit interkulturelles Verständnis gefördert wird und interkulturelle Themen in die Unterrichtspraktiken und -inhalte einfließen. Die meisten Lehrkräfte gaben an, dass sie sich zutrauen, in einem multikulturellen Umfeld zu unterrichten. Eine Schwierigkeit sind jedoch fehlende Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung in diesem Bereich. In Deutschland beispielsweise gingen 40 Prozent der Schüler*innen auf eine Schule, in der Lehrkräfte angaben, sie hätten Weiterbildungsbedarf im Bereich Kommunikation mit Menschen aus anderen Ländern oder Kulturen (OECD-Schnitt: 46 Prozent). 31 Prozent gingen auf eine Schule, in der Lehrkräfte angaben, sie hätten Weiterbildungsbedarf für das Unterrichten der Themen Vielfalt und Chancengerechtigkeit. Insgesamt gaben nur wenige Lehrkräfte an, Weiterbildung für das Unterrichten in einem multikulturellen und/oder mehrsprachigen Umfeld erhalten zu haben.
Über 90 Prozent der teilnehmenden Schüler*innen ging auf eine Schule, deren Lehrpersonal laut Schulleitung eine positive multikulturelle Einstellung hat. Allerdings zeigten Schüler*innen, die bei ihren Lehrkräften diskriminierende Verhaltensweisen beispielsweise gegenüber Zugewanderten und Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund erlebt hatten, ähnlich negative Einstellungen wie ihre Lehrkräfte. Dies verdeutlicht, welch entscheidende Vorbildrolle Lehrkräfte und Schulleitungen bei der Bekämpfung oder Verstetigung von Diskriminierung haben.
Die Studie stellt außerdem einen engen Zusammenhang zwischen Lernaktivitäten in der Schule und positiveren Einstellungen gegenüber anderen Kulturen fest. Das Vermögen, eine oder mehrere Fremdsprachen zu sprechen, stand in einem positiven Zusammenhang mit einem Interesse für andere Kulturen, mit Respekt für Menschen aus anderen Kulturen, mit positiven Einstellungen gegenüber Zugewanderten sowie mit einer Sensibilität für globale Themen.
Im OECD-Schnitt gab die Hälfte der Schüler*innen an, in der Schule zwei oder mehr Fremdsprachen zu lernen. 38 Prozent gaben an, eine Fremdsprache zu lernen, und nur zwölf Prozent gaben an, keine Fremdsprache zu lernen. In Deutschland und Österreich gaben 98 Prozent an, eine oder mehr Fremdsprachen zu lernen, in der Schweiz 94 Prozent.