didacta: »Wir wollen, dass Bildung für alle erreichbar ist«

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didactaErklärung der didacta-Verantwortlichen zum Auftakt der didacta 2016 
 

Fundierte Ergebnisse der deutschen und internationalen Forschung und Erfahrungen in der Praxis zeigen: Um unsere Kinder optimal auf eine veränderte Welt vorzubereiten, müssen wir die theoretische Grundlage und die Bildungsphilosophie verändern, die gesamte Architektur des Bildungssystems neu entwerfen, aber auch den didaktisch, methodischen Ansatz erneuern.

Nicht mehr die Vermittlung von Kenntnissen soll im Mittelpunkt stehen, sondern das Kind, seine Entwicklung und die Stärkung seiner Kompetenzen. Es sind diese grundlegenden Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, wenn wir allen Kindern beste und faire Chancen bieten und ein gerechteres Bildungssystem entwickeln möchten.

Für mehr Bildungsgerechtigkeit machen wir uns stark. Dafür setzen wir uns konkret ein:

  • Neu-Organisation des Bildungsverlaufs: Unsere Kinder sollten ihren Bildungsweg ohne Brüche gehen können - möglichst bis zum Beginn ihres Berufslebens. Deshalb sollten die Bildungsprozesse von 0 bis 18+-Jahren institutionenübergreifend gestaltet werden und aufeinander aufbauen. In Deutschland sorgen verschiedene Philosophien auf den einzelnen Bildungsstufen immer noch für individuelle und soziale Ungerechtigkeit. Auf Zuteilungs- und Selektionsmechanismen, die solche Ungerechtigkeiten verstärken, sollten wir möglichst verzichten - oder sie zumindest durch effiziente und valide Strategien ersetzen.

  • Einheitliche Standards für die frühe Bildung: Wir benötigen dringend ein Bundesqualitätsgesetz für Kitas. Es wird von zahlreichen Bildungsforschern, Gewerkschaften, Stiftungen und dem Didacta Verband gefordert. Das Kita-Qualitätsgesetz soll endlich länderübergreifende Standards für Kitas festlegen, beispielsweise Standards zur Fachkraft-Kind-Relation, zu den Gruppengrößen, zum Qualifikationsniveau der pädagogischen Fachkräfte und zur Fort- und Weiterbildung.

    Ein Bundesqualitätsgesetz für Kitas ist möglich: Der Bund verfüge über die notwendige Gesetzgebungskompetenz, die Länder seien für die Umsetzung zuständig. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten von Prof. Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungsrecht Speyer, das im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Absprache mit dem Deutschen Caritasverband (DCV) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erstellt wurde.

  • Abschaffung des Kooperationsverbotes: Bund, Länder und Kommunen müssen einen gemeinsamen Weg finden, wie sie nachhaltig in Bildung investieren, ohne sich ständig über Folgekosten zu streiten. Das Kooperationsverbot war ein Fehler, den es zu beheben gilt. Denn ein Beitrag des Bundes kann die Qualität der Bildung steigern, beispielsweise beim Ausbau der - gerade auch von Eltern geforderten - Ganztagsschulen.

  • Ausbau der Ganztagsschulen: Nur 14,4 Prozent der Schüler besuchen Ganztagsschulen, in denen der Schulunterricht über den gesamten Tag gemeinsam im Klassenverband erteilt wird. Gerade diese Schulform mit verpflichtendem Ganztag bietet jedoch gute Rahmenbedingungen, alle Schüler individuell und optimal zu fördern. (Quelle: Chancenspiegel der Bertelsmann Stiftung 2014)

  • Neue Auslegung des Bildungsföderalismus: Die Bundesländer sollten sich übergreifend auf einen Bildungsplan verständigen, der internationalen Standards entspricht. Denn es ist nicht einzusehen, warum es beispielsweise 16 verschiedene Bildungspläne für den Elementarbereich gibt, die zudem von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Der Föderalismus sollte also nicht bei der Erstellung von Bildungsplänen und der Festlegung von Standards zum Tragen kommen, sondern bei deren Umsetzung. Erst dann kann der Wettbewerb unter den Bundesländern die Qualität der Bildung durchaus fördern.

  • Professionalisierung der Pädagogen: Um ihrer Schlüsselrolle im Bildungsprozess gerecht zu werden, müssen die Pädagogen bestmöglich aus- und fortgebildet werden. Eine Ausbildung auf hohem Niveau, mit allen Konsequenzen auch für die Vergütung, ist angesagt.

  • Qualitätsoffensive für Fach- und Lehrkräfte: Erzieher, Lehrer, Ausbilder und Trainer, die hier stellvertretend für alle Pädagogen stehen, entscheiden maßgeblich über den Bildungserfolg. Deshalb braucht gelingende Bildung die am besten qualifizierten Pädagogen, die engagiert ihrer Arbeit nachgehen und dabei die volle Unterstützung der Politik, der Gesellschaft und der Wirtschaft erhalten. Wir müssen ihnen Instrumente an die Hand geben, die den Bildungsprozess fördern und die tägliche Arbeit in Kitas, Schulen, Hochschulen und Unternehmen erleichtern.

  • Bedarfsgerechte Finanzierungsgrundlage: Träger von Bildungseinrichtungen und auch die Bildungswirtschaft benötigen eine sichere, längerfristige Planungsgrundlage, um die Qualität der Bildungsangebote zu sichern und weiterzuentwickeln.

    Allein die starke Zuwanderung von Geflüchteten erfordert zusätzliche Investitionen, beispielsweise für weitere Lehrkräfte und Erzieherinnen. Brunhild Kurth, Präsidentin der Kultusministerkonferenz 2015, rechnete im vergangenen Herbst mit mindestens 20.000 zusätzlichen Lehrkräften, die benötigt werden.
    Um das Bildungssystem ausreichend zu finanzieren, sind insgesamt höhere Investitionen nötig. Auf dem sogenannten Bildungsgipfel 2008 in Dresden vereinbarten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Bundesländer ab 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Bildung und Forschung zu investieren, davon sieben Prozent in Bildung und drei Prozent in Forschung. Dieses Ziel wurde bislang nicht erreicht. Der aktuelle Bildungsfinanzbericht zeigt, dass im Jahr 2012 für Bildung 5,2 Prozent des BIP aufgewendet wurden (Anteil der Bildungsausgaben am BIP in internationaler Abgrenzung). 2014 sei der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben auf 6 Prozent gestiegen, errechnete die GEW. Er liegt damit immer noch weit unter dem avisierten Ziel von 7 Prozent.

  • Vernetzung aller Bildungsorte und Familien: Der Einfluss der Familie auf den Bildungs- und Berufserfolg der Kinder ist immens. Dies wird in den Diskussionen um bessere Bildungschancen noch nicht ausreichend berücksichtigt. Die Sozialforschung bestätigt den Einfluss von sozialen Räumen auf die Entwicklung und die schulische Leistung unserer Kinder. Deshalb benötigen wir eine inklusive, sich gegenseitig bereichernde Bildungs-, Familien-, Kommunal- und Kinderpolitik.

  • Gesamtkonzept für Bildung und Technologie: IT-Lösungen, die einen pädagogischen Mehrwert bieten, können sich positiv auf Bildungsprozesse auswirken. Das Zusammenspiel von Pädagogik und Technologie ist jedoch ein komplexer Prozess, der nur mit den geeigneten Rahmenbedingungen gelingen kann. Schüler sollen mit Medien lernen, und sie sollen etwas über Medien lernen. Dafür sind drei Voraussetzungen notwendig: die strukturelle Verankerung der Medienbildung in den Lehr- und Bildungsplänen, die Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer für die Aufgaben der Medienbildung sowie eine leistungsfähige Infrastruktur. 

  • Attraktives Berufsbildungssystem: Die duale Berufsausbildung ist international ein Erfolgsmodell. In Deutschland steht das Berufsbildungssystem jedoch vor großen Herausforderungen: Während die Zahl der Ausbildungsverträge sinkt, beginnt inzwischen mehr als die Hälfte eines Jahrgangs ein Studium. Ein Trend, der vielen Bildungs- und Arbeitsmarktexperten Sorge bereitet. Sie befürchten vor allem Probleme bei der Fachkräftesicherung. Für ein bedarfsgerechtes Gleichgewicht von beruflicher und akademischer Bildung benötigen wir ein attraktives Berufsbildungssystem, das sich durch eine hohe Durchlässigkeit zwischen den Ebenen auszeichnet. Zudem brauchen wir eine ausgewogene Berufs- und Studienorientierung in den Schulen, vor allem auch in den Gymnasien.

  • Enge Verzahnung von Bildungsforschung und Praxis: 450 Reformen im Bildungsbereich haben OECD-Länder seit 2008 auf den Weg gebracht. Davon haben sie bisher zehn Prozent auf ihre Wirksamkeit geprüft. (Quelle: OEDC, Education Policy Outlook 2015) Ob und wie Bildungsreformen wirken, wird noch zu selten evaluiert. Wir brauchen eine engere Kooperation von Wissenschaft, Politik und Praxis, um mehr Informationen über die Effizienz und die langfristige Wirkung solcher Reformen zu erfahren.

  • Wertschätzender Umgang mit kultureller Vielfalt: Diversität muss endlich als Bereicherung und als erweiterte Lernchance begriffen werden. Nur so werden wir das Integrationsproblem lösen. Gerade der Elementarbereich und die Grundschule können dazu beitragen. Denn Integration wird im Bildungsverlauf vor allem dann gelingen, wenn sie früh beginnt.

  • Ein Bildungssystem, das alle mitnimmt: Die Inklusion stellt große strukturelle, personelle, materielle, räumliche und pädagogische Herausforderungen an die Bildungseinrichtungen. Doch die Entwicklung zu einem inklusiven Bildungssystem hat noch nicht einmal die programmatische Ebene erreicht. Damit inklusive Bildung gelingen kann, müssen zunächst alle Beteiligten ihre innere Haltung überdenken. Wir sollten die vielfältigen Differenzen, die Individuen wie Gruppen aufweisen, bejahen und begrüßen, weil sie einen Reichtum darstellen, den es systematisch für erweiterte Lernerfahrungen sowie für höheren individuellen und kollektiven Gewinn zu nutzen gilt. Dieser Reichtum nährt sich aus den unterschiedlichen individuellen Charakteristika (Alter, Geschlecht, Begabungen, Behinderungen etc.) und aus den verschiedenen kulturellen und sozialen Hintergründen. Wir benötigen eine neue Bewertung von und einen neuen Umgang mit Diversität. Das ist der erste Schritt in die richtige Richtung: Inklusion neu zu konzeptualisieren.

 

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