Rente mit 67: Nötige Weiterbildung der Beschäftigten ist kein Selbstläufer
Länger arbeiten, aber wie? Diese Frage treibt viele um, wenn es um eine Erhöhung des Renteneintrittsalters geht. Weiterbildung ist essenziell, um Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen fit zu machen für einen späteren Renteneintritt.
Eine aktuelle Analyse zeigt anhand der Abschaffung der sogenannten Rente für Frauen im Jahr 1999, dass das kein Selbstläufer ist. Damals stieg das vorzeitige Renteneintrittsalter für Frauen ab dem Geburtsjahrgang 1952 von 60 auf 63 Jahre. Davon betroffene Frauen haben in der Folge im Durchschnitt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an einer Weiterbildung teilgenommen. Aber: Während Frauen mit tertiärer Bildung stark profitierten, ist für Frauen mit geringerer Bildung fast gar kein Effekt messbar. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass der Weiterbildung in höherem Alter mehr Priorität zugemessen werden muss. Andernfalls könnten immer ältere und gleichzeitig nicht mehr ausreichend qualifizierte ArbeitnehmerInnen zum Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung werden.
Die Rente mit 67 wird seit einigen Jahren fast geräuschlos und schleichend umgesetzt: Sukzessive steigt die Regelaltersgrenze seit dem Jahr 2011 von 65 Jahren bis Anfang 2031 auf 67 Jahre an, Jahrgang für Jahrgang um ein oder zwei Monate. Derzeit liegt die Regelaltersgrenze bei 65 Jahren und neun Monaten für den Jahrgang 1955, der diese Grenze in diesem Jahr erreicht. Bisher muss in Deutschland also noch niemand, der oder die regulär in Rente geht, bis zum Alter von 67 Jahren warten. Dennoch drehen sich die Diskussionen bereits um eine abermalige Anhebung des Renteneintrittsalters. Dabei scheinen viele Beschäftigte nicht einmal genau zu wissen, wie sie von der Rente mit 67 betroffen sind. Laut einer Analyse auf Basis der europäischen SHARE-Daten ist über 50 Prozent der Menschen nicht klar, in welchem Alter sie in Rente gehen können. Ähnliches gilt mit Blick auf ihre Beschäftigten vermutlich auch für Unternehmen.
Diese Beobachtung ist nicht ungefährlich: Denn ein späterer Renteneintritt und eine längere Lebensarbeitszeit mögen aufgrund der Alterung der Gesellschaft notwendig sein – dieser Prozess muss jedoch aktiv unterstützt werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Weiterbildung. Diese muss nicht nur angeboten, sondern von den Beschäftigten auch angenommen und genutzt werden. Hierfür sind neben Informationen über das tatsächliche Renteneintrittsalter und den Nutzen von Weiterbildung auch entsprechende Anreize zur Inanspruchnahme relevant. Ohne Weiterbildung steigt das Risiko, vor dem Renteneintritt arbeitslos zu werden. Den Unternehmen droht, dass die immer älter werdenden Beschäftigten zwar viel Erfahrung mitbringen, wichtigen Veränderungen in der betrieblichen Umwelt aber nicht mehr gewachsen sind. Informations- und Kommunikationsfähigkeiten, Sprachkenntnisse, neue rechtliche Standards und anderes wollen gelernt sein. Mit der fortschreitenden Digitalisierung dürfte dieser Bedarf weiter steigen.
Neben aktivem Gesundheitsmanagement würde man zunehmende Investitionen in Weiterbildung insbesondere für ältere Beschäftigte erwarten. Diese Erwartungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht decken sich mit der volkswirtschaftlichen Theorie. Theoretische Arbeiten zeigen, dass es optimal ist, in Humankapital zu investieren, wenn die Lebenserwartung steigt. Empirische Evidenz stützt diese theoretischen Hypothesen. Wenn die Lebensarbeitszeit steigt, lohnen sich Investitionen in Weiterbildung mehr. Der Mechanismus dahinter ist einfach: Je länger die Menschen arbeiten, umso mehr Jahre profitieren sie und die Unternehmen von der Weiterbildung
Abschaffung der Frauenrente hat Weiterbildung erhöht – allerdings nur im Durchschnitt
Doch wie wirkt sich eine steigende Lebensarbeitszeit ganz konkret in der Praxis auf die Inanspruchnahme von Weiterbildung aus? Eine aktuelle Untersuchunginfo, auf der dieses DIW aktuell basiert, nimmt die Abschaffung der sogenannten Rente für Frauen unter der Lupe. Mit der Rentenreform aus dem Jahr 1999 erhöhte sich das Renteneintrittsalter für einen Großteil der Frauen um drei Jahre von 60 auf 63 Jahre. Bis dahin konnten viele Frauen, die vor dem 31. Dezember 1951 geboren wurden, dank der »Rente für Frauen« mit 60 Jahren in Rente gehen. Nach der Reform mussten Frauen, die ab dem 1. Januar 1952 geboren wurden, für einen vorzeitigen Renteneintritt in der Regel drei Jahre länger arbeiten. Auf Basis des Mikrozensus wird untersucht, ob Frauen nach der Rentenreform mehr Zeit in Weiterbildung investiert haben als Frauen, die nicht von der Reform betroffen waren. Dazu wird die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen beider Gruppen im Alter von 53 bis 60 Jahren verglichen.
Die Ergebnisse sind recht deutlich: Frauen, die im Jahr 1952 geboren wurden und damit nicht mehr von der Frauenrente profitieren konnten, haben im Alter von 53 bis 60 Jahren mit einer um 23 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit an einer Weiterbildung teilgenommen. Allerdings ist dieser Anstieg fast alleine Frauen mit tertiärer Bildung, zum Beispiel mit einem Hochschulabschluss oder einer Fachschulausbildung, zuzuschreiben. Für diese Gruppe hat sich die Wahrscheinlichkeit einer Weiterbildung im Alter ab 53 Jahren um etwa 40 Prozent erhöht. Bei Frauen ohne tertiäre Bildung gab es hingegen keine signifikanten Veränderungen. Der deutliche Unterschied nach dem Bildungsabschluss ist konsistent mit Ergebnissen früherer Studien, die darauf verweisen, dass Weiterbildungsangebote vermehrt angenommen werden, wenn positive Erinnerungen an vorherige individuelle Bildungsinvestitionen vorhanden sind.
Warum genau ein Effekt für einen wichtigen Teil der Beschäftigten ausbleibt, ist jedoch unklar. Ein wesentlicher Grund könnte sein, dass weder Firmen noch Beschäftigte die Notwendigkeit von Weiterbildung gesehen haben. Ein Problem: Die Kosten der Weiterbildung fallen heute an, die Erträge jedoch erst Jahre später. Denkbar ist zudem, dass die Art der Weiterbildungsprogramme eine Rolle spielt. An dieser Stelle machen sich jedoch auch Datenrestriktionen bemerkbar: Zwar wird im Rahmen des Mikrozensus ein Prozent der Bevölkerung befragt, womit genügend Beobachtungen vorliegen, um ausschließlich Frauen der Geburtsjahrgänge 1951 und 1952 in die Analyse einzuschließen. Allerdings können im Mikrozensus Weiterbildungsprogramme nicht differenziert werden. Weitere Daten, die detaillierte Informationen zur Weiterbildung und auch betriebliche Informationen bieten, würden es erlauben zu untersuchen, welche Weiterbildungsprogramme besonders geeignet sind und welche nicht – und wie sich erstere am besten finanzieren ließen.
Fazit: Erhöhung der Lebensarbeitszeit kann nur mit Weiterbildung gelingen
Unternehmen und Beschäftigte haben sich in Reaktion auf die Abschaffung der sogenannten Rente für Frauen im Jahr 1999 im Durchschnitt an die Veränderungen der Lebensarbeitszeit angepasst und mehr in Weiterbildung investiert. Die Betonung liegt allerdings auf »im Durchschnitt«: Während Beschäftigte mit höherer Bildung sich in deutlich größerem Umfang als zuvor weiterbilden konnten, profitierten Frauen mit geringerer Bildung praktisch gar nicht.
Als zusätzliche Herausforderung mit Blick auf die Rente mit 67 kommt hinzu: Die Lebensarbeitszeit erhöht sich anders als 1999 nicht quasi von einem Tag auf den anderen, sondern Stück für Stück über viele Jahre verteilt. Das birgt das Risiko, dass das Thema Weiterbildung für Beschäftigte und Unternehmen nicht ganz oben auf der Agenda steht beziehungsweise die Notwendigkeit von Weiterbildung nicht offensichtlich ist. Und das, obwohl die ökonomische Relevanz der Rente mit 67 im Vergleich zur Abschaffung der Frauenrente noch größer sein dürfte, schließlich betrifft diese Reform alle Beschäftigen.
Von Seiten der Wissenschaft, Verbände und Gewerkschaften wird seit langem darauf hingewiesen, dass ältere Beschäftigte besser geschult werden müssen. Auch die Politik reagiert und hat mit den Programmen »Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Unternehmen« (WeGebAU) und seit Januar 2019 im Rahmen des Qualifizierungschancengesetzes spezielle Maßnahmen für geringqualifizierte Beschäftigte eingeführt. Das zeigt sich auch in den Daten – im Aggregat steigt die Weiterbildung über die Zeit an. Dabei wird jedoch oft nicht zwischen allgemeiner und betrieblicher Weiterbildung differenziert. So bleibt weiterhin unklar, ob tatsächlich diejenigen Beschäftigten und Unternehmen in Weiterbildung investieren, die besonders von der Erhöhung des Renteneintrittsalters betroffen sind. Beispielsweise erwähnen nur zwei der DAX-30-Konzerne auf der eigenen Internetseite explizit Weiterbildungsmaßnahmen für ältere Beschäftigte. Dies deckt sich mit Daten aus dem IAB-Panel 2011, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014 ausgewertet wurden: Nur sehr wenige große Unternehmen boten in Deutschland Weiterbildungsmöglichkeiten speziell für ältere ArbeitnehmerInnen an. Inwieweit insbesondere Unternehmen in die Weiterbildung älterer Beschäftigter investieren und ob hier Effekte der höheren Lebensarbeitszeit beachtet werden, lässt sich zurzeit nicht beantworten.
Um belastbarere Aussagen über die tatsächliche Nutzung von Weiterbildung sowie deren Qualität und Auswirkung zu treffen, müssen umfassendere Daten und Informationen von Unternehmen systematisch ausgewertet werden. Auf dieser Basis könnten dann gezielte Empfehlungen für Beschäftigte, Unternehmen und die Politik abgeleitet werden. Nur so ist es möglich, die fortschreitende Erhöhung des Arbeitsalters proaktiv zu managen. Dies kann nur durch einen Schulterschluss von Unternehmen mit Akteuren der Wissenschaft und Politik gelingen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ältere und nicht mehr ausreichend qualifizierte ArbeitnehmerInnen ein Hemmschuh für die auf einem hohen Humankapital und hohem technischen Know-how basierende Wirtschaft in Deutschland werden.
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