Grenzen des Trends zu höherer Bildung
Der Report »Nationaler Bildungsbericht - Bildung in Deutschland 2020«, der einen Überblick über das gesamte Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland von der frühen Bildung über schulische, hochschulische und berufliche Bildung bis zur Weiterbildung von Erwachsenen gibt, liegt zum achten Mal vor. Schwerpunktkapitel des Berichts, der als Unterrichtung vorliegt, ist das Thema »Bildung in einer digitalisierten Welt«.
Der Bericht erscheint alle zwei Jahre und wird von einer unabhängigen wissenschaftlichen Autorengruppe erstellt. Die Autoren zeigen auf, dass die Bildungsausgaben seit 2010 kontinuierlich steigen und 2018 bei rund 218,3 Milliarden Euro gelegen haben. Allerdings verbleibe ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit 2014 auf relativ konstantem Niveau von circa 6,5 Prozent.
Der langjährige Trend zu höherer Bildungsbeteiligung und höheren Abschlüssen schlägt sich den Angaben zufolge in einem steigenden Bildungsstand der Bevölkerung nieder. Immer mehr Menschen verfügen über Hochschulreife und einen Hochschulabschluss, betonten die Autoren. Die Wissenschaftler unterstreichen die sehr guten Arbeitsmarktchancen für junge Menschen nach dem Abschluss eines Studiums. Die neuen Abschlüsse Bachelor und Master seien inzwischen fest etabliert und führten größtenteils in eine qualifikationsangemessene Erwerbstätigkeit. Zudem heben die Autoren die zunehmende Durchlässigkeit im Bildungssystem hervor. Eine Entkopplung von Schulabschlüssen bestimmter Schularten sowie die Verknüpfung beruflicher Bildungsgänge mit höher qualifizierenden Bildungszertifikaten etwa durch den Erwerb von Studienberechtigungen an Fachoberschulen oder beruflichen Gymnasien ermöglichten den Menschen flexible Bildungswege.
Die Bundesregierung hebt in ihrer Stellungnahme hervor, dass auch frühere Bildungsteilnahme und Förderung sowie der quantitative Ausbau des Bildungspersonals zu mehr Durchlässigkeit im System geführt hätten. Verfügten 2008 nur 24 Prozent der über 15-Jährigen über Hochschulreife, seien es 2018 schon 33 Prozent gewesen, schreibt die Bundesregierung. Der Anteil von Hochschulabsolventen sei in dieser Zeit um fünf Prozentpunkte auf 18 Prozent gestiegen. Im Hochschulbereich gebe es eine anhaltend hohe Studiennachfrage, die Hochschullandschaft und das Studienangebot würden vielfältiger: 2018/19 habe es in Deutschland über 420 Hochschulen gegeben - Mitte der 1990er Jahre seien es noch knapp 330 gewesen.
Allerdings setzt sich der langjährige Trend zu höheren Bildungsabschlüssen laut Bericht nicht überall fort. Die Autoren und die Bundesregierung betrachten mit Sorge, dass neuerdings wieder mehr junge Menschen die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen. 2018 waren es 6,8 Prozent im Gegensatz zu 2013, wo ein bisheriger Tiefststand von 5,7 Prozent erreicht worden war. Unter den Abgängern ohne Abschluss seien immer weniger Förderschülerinnen und Förderschüler. Das heißt, dass der Anstieg ausschließlich auf vermehrte Abgänge ohne Abschluss aus den anderen Schularten zurückgeht. Um diesem Trend zu begegnen, verweist die Bundesregierung auf zahlreiche Initiativen zur Unterstützung und betont, dass frühe Förderung ein wichtiger Grundstein für Bildungserfolg ist.
Trotz der zunehmenden Durchlässigkeit des Bildungssystems sei auch weiterhin der Einfluss des sozialen Hintergrunds auf den Bildungserfolg groß. Soziale und regionale Ungleichheiten, neben schwierigerer Ausgangslagen für Menschen mit Migrationshintergrund sowie generell zunehmende Heterogenität bei Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen seien nach wie vor und vermehrt eine große Herausforderung.
Die Wissenschaftler unterstreichen, dass Kinder Alleinerziehender überproportional häufig unter der Belastung von Risikolagen aufwachsen würden. Zu Risikolagen zählten formal gering qualifizierte Eltern, eine soziale und/oder eine finanzielle Risikolage. Während in Paarfamilien rund 23 Prozent der Kinder von mindestens einer Risikolage betroffen seien, sei der Anteil bei Kindern Alleinerziehender mit 59 Prozent mehr als doppelt so hoch. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund seien zu 47 Prozent von mindestens einer Risikolage betroffen und sie wachsen fünfmal häufiger mit formal gering qualifizierten Eltern auf als Kinder in Familien ohne Migrationshintergrund. Diese Tendenz schlägt sich laut Bericht auch im späteren Leben nieder. Die 25- bis unter 65-Jährigen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren sind und Bildungseinrichtungen in Deutschland besucht haben, verfügen mit 16 Prozent deutlich seltener über einen Hochschulabschluss als Menschen ohne Migrationshintergrund (23 Prozent).
In der beruflichen Bildung ist laut Bericht zwischen 2005 und 2018 die Zahl der Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen dualer und vollzeitschulischer Ausbildungsgänge um zwölf beziehungsweise zwei Prozent zurückgegangen. Dies erklärt sich laut der Autoren größtenteils aus demografischen Trends, aber auch aus dem Wandel von Bildungsaspirationen und Berufsstruktur. Für das duale System zeigten sich innerhalb der Berufsgruppen besonders starke Rückgänge im Ernährungshandwerk, im Hotel- und Gaststätten- sowie im Reinigungsgewerbe. Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt sei es zu starken Umschichtungen bei den Absolventinnen und Absolventen der IT-Berufe gekommen: Während die technisch ausgerichteten Berufe (Fachinformatiker, Fachinformatikerin und Software-Entwickler, -Entwicklerin) innerhalb der letzten Dekade Zuwächse verzeichnet hätten, verlieren laut Bericht die Informatik- sowie die Informations- und Telekommunikationssystem-Kaufleute an Bedeutung. Im Schulberufssystem hätten sich die Absolventenzahlen im Bereich der Erziehung und Kinderpflege in der letzten Dekade fast verdoppelt, sodass diese mittlerweile circa ein Drittel aller Absolventinnen und Absolventen des Schulberufssystems ausmachten.
Die Bundesregierung macht beim Schwerpunktthema »Bildung in einer digitalisierten Welt« darauf aufmerksam, dass sich »digitale Lernwelten« deutlich unterscheiden: Außerhalb von Bildungseinrichtungen seien sie selbstverständlich, innerhalb dieser dagegen zu oft immer noch nicht ausreichend. Nicht nur bei der Verfügbarkeit von Infrastruktur oder technischer Ausstattung, auch bei den Kompetenzen sowie der Qualifikation von Lehrenden und Lernenden gebe es große Unterschiede. Zentrale Aufgabe für den Bildungsbereich sei es, angemessene technische Infrastrukturen bereitzustellen und digitale Bildung breit verfüg- und nutzbar zu machen. Digitale Infrastruktur müsse didaktisch sinnvoll genutzt werden und die Pädagogik im Mittelpunkt stehen. Die Autoren betonen, dass mit dem bundesweiten »Digitalpakt Schule« grundlegende Eckpfeiler für eine sukzessive Modernisierung und einen Ausbau der vorhandenen medial-digitalen Ausstattung in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen gesetzt werden.
Um besser grundsätzliche und bereichsübergreifende Fragen von Bildung in den Blick nehmen zu können, regt die Bundesregierung erneut einen Nationalen Bildungsrat an. Dieser sei für die laufende 19. Legislaturperiode vorgesehen gewesen, aber von den Ländern abgelehnt worden. Die Corona-Krise zeige, wie wichtig eine effektive Abstimmung zwischen Bund, Ländern, Kommunen sowie Wissenschaft und Praktikern sei.