NRW: Was tun, um Bildungschancen für Kinder und Jugendliche deutlich zu verbessern?
FiBS schlägt Strategie mit drei Kernpunkten vor
Die Ergebnisse einer aktuellen Studie des FiBS im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Nordrhein-Westfalen, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Auch wenn es einige positive Entwicklungen im nordrhein-westfälischen Bildungssystem gibt, wie mehr Kitaplätze, etwas bessere schulische Leistungen, weniger Schulabbrecher*innen, so überwiegen doch die Herausforderungen:
- Kinder mit Migrationshintergrund sind im Kita-System deutlich unterrepräsentiert: Bei den unter Dreijährigen beträgt die Besuchsquote 17% (vs. 37% bei den Kindern ohne Migrationshintergrund), bei den älteren Kindern sind es 73% (vs. 100%).
- Rund ein Fünftel der 15-Jährigen kann nur rudimentär lesen, schreiben und rechnen. Ein beträchtlicher Teil von ihnen bekommt dennoch einen Schulabschluss.
- Die Zahl der Ausbildungsplätze im dualen System hat sich in den letzten Jahren – unabhängig von der Corona-Pandemie – verringert. Da gleichzeitig ein größerer Anteil der gestiegenen Zahl von Abiturient*innen eine duale Ausbildung aufnimmt, führt dies dazu, dass sich die Ausbildungschancen von Jugendlichen, die höchstens einen mittleren (Real-) Schulabschluss haben, deutlich verschlechtert haben. Mittlerweile findet weniger als die Hälfte eines Schulabgängerjahrgangs mit dem entsprechenden Schulabschluss einen Ausbildungsplatz, teilweise nur ein Drittel.
- Demgegenüber sind die Einmündungsquoten in das Übergangssystem angestiegen, auch wenn die Zahl der Jugendlichen in diesem Teilbereich der Berufsschulen geringer ist als in früheren Jahren.
In der Zuspitzung führt diese letzte Beobachtung zu der Feststellung, dass der Übergang von der Schule in Ausbildung, sowohl dual als auch schulisch, zunehmend zu einem immer enger werdenden Nadelöhr für die Zukunftschancen junger Menschen wird. Das gilt für NRW noch deutlich stärker als bundesweit!
Während politisch behauptet wird, dass es zu viele Abiturient*innen und einen Akademisierungswahn gäbe, wird das Abitur immer mehr zur Eintrittsvoraussetzung in eine duale Ausbildung. Auch das gilt für NRW noch stärker als für den Bund. Das Abitur ist der einzige Schulabschluss, der mit Sicherheit eine Zukunftschance eröffnet. Für alle anderen Abschlüsse gilt das nur mit erheblichen Einschränkungen.
Um die Lern- und Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen deutlich zu verbessern, skizziert die Studie drei Maßnahmen, die – sofern zeitnah eingeführt – innerhalb von fünf Jahren erste Effekte entfalten und binnen zehn Jahren anfangen, sich zu amortisieren. Gleichzeitig schaffen sie dauerhaft bessere Bildungschancen und reduzieren den absehbaren Fachkräftemangel deutlich:
- Bessere Übergangschancen in qualifizierende Ausbildung durch Einführung einer Ausbildungsprämie für zusätzliche Ausbildungsplätze im dualen System, Etablierung von Ausbildungsplatzkreateur*innen und/oder sowie Schaffung eines dritten qualifizierenden Ausbildungssegments in Form praxisorientierter, überbetrieblicher Ausbildungszentren.
- Verbesserung des Schulsystems: Ausbau und stärkere Praxisorientierung der Lehrerbildung (z.B. durch eine duale Lehrerausbildung), umfassende Digitalisierung der Schulen, beschleunigter Ausbau gebundener Ganztagsschulen und Abbau des Sanierungsstaus.
- Ausbau des Kitaplatzangebots um 25.000 pro Jahr bis 2030, Ausbau der (praxisintegrierten) Ausbildungskapazitäten sowie perspektivisch weitere qualitative Verbesserungen in den Kitas.
Übergreifend sind für diese Maßnahmen Investitionen in Höhe von rund 20 Mrd. Euro und sukzessive von 2,5 auf 5 Mrd. Euro ansteigende laufende Ausgaben erforderlich, die jedoch langfristig zu fiskalischen Erträgen von mindestens 9 Euro je eingesetztem Euro führen werden. Die erstgenannte Maßnahme führt dabei nach knapp fünf Jahren zu ersten Rückflüssen in die öffentlichen Haushalte und hat sich nach zehn Jahren bereits vollständig refinanziert. Zu diesem Zeitpunkt beginnen nach und nach die beiden anderen Maßnahmen zu wirken.
Mit dem Ausbau des Kita-Bereichs auf 100% bei den älteren Kindern und 60 bis 65% bei den unter Dreijährigen verbessern sich nicht nur die Bildungschancen der Kinder, sondern auch die Erwerbschancen der Eltern, insbesondere der Mütter. Durch diese bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen sich Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen ebenso wie durch die zusätzlich eingestellten Fach- und Lehrkräfte in den Kitas und (Ganztags-) Schulen.
Sofern die Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen nicht im Rahmen eines reformierten Bildungsföderalismus durch Bund, Länder und Kommunen gemeinsam getragen wird, kommt alternativ – oder ergänzend – ein Bildungsinvestitionsfonds in Betracht. Dieser Fonds wird aus privaten Quellen vorfinanziert und refinanziert sich durch eine anteilige Beteiligung an den fiskalischen Erträgen der Bildungsinvestitionen.
Dr. Dieter Dohmen, der Direktor des FiBS und Autor der Studie hält fest: »Zwar wird seit Jahren vieles unternommen, um mehr junge Menschen in Ausbildung zu bringen, doch sind diese Bemühungen offenkundig weitgehend wirkungslos. Die Zahlen sprechen eine ziemlich klare Sprache. Eine zentrale Aufgabe der neuen Legislaturperiode muss daher die Verbesserung der Übergangschancen in qualifizierende Ausbildung sein.«
Mit Blick auf Kita und Schule fügt der Bildungsökonom und Unternehmer an: »Der deutliche Ausbau frühkindlicher Bildungsangebote sowie die Verbesserung der Unterrichtsqualität in den Schulen ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltig bessere Bildungs- und Zukunftschancen sowie eine weitgehende Verringerung des Fachkräftemangels. Auch wenn es manche nicht gerne hören wollen, so muss das Ziel sein, mehr Auszubildende und mehr Studierende zu haben. Dies erfordert, dass perspektivisch alle Jugendlichen mindestens einen Hauptschul-, besser noch einen Mittleren bzw. Realschulabschluss haben. Was andere Länder können, sollte Deutschland auch schaffen.«
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