Eltern sehen Defizite bei der Digitalisierung der Schulen
Auch drei Jahre nach Inkrafttreten des DigitalPakts Schule sehen Eltern in allen 16 Bundesländern Nachholbedarf bei der digitalen Bildungsinfrastruktur, den digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte sowie der Leistungsfähigkeit der Schulen, digitale Unterrichtsmethoden wirkungsvoll anzuwenden.
Bei der Umsetzung von digitalem Unterricht sind einige Bundesländer bereits deutlich weiter als andere. Drei von vier Eltern geben an, dass ihr Kind an der Schule bereits mit digitalen Geräten beziehungsweise Anwendungen gearbeitet hat – in Bremen (86 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (81 Prozent) deutlich häufiger als in Hessen (64 Prozent) oder Thüringen (63 Prozent).
Die Mehrheit der Eltern bringt den vermehrten Einsatz digitaler Werkzeuge im Unterricht vor allem mit der Corona-Pandemie in Verbindung. Lediglich in Brandenburg sagen mehr als die Hälfte der Eltern (53 Prozent), dass dies schon vor der Pandemie der Fall war. Dies sind Ergebnisse der Studie »21st Century Schools«, mit der die Initiative D21 erstmals den Umsetzungsstand des digitalen Schulunterrichts in den 16 Bundesländern aus Sicht der Eltern untersucht.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Dr. Jens Brandenburg, erklärt: »Die Studienergebnisse zeigen: In der Wahrnehmung der Eltern hat sich die IT-Ausstattung der Schulen verändert. Viele Geräte und Lernplattformen sind angekommen. Deshalb wollen wir den Digitalpakt weiter beschleunigen. Die nächste Zeit wird für Bund und Länder eine gemeinsame Kraftanstrengung. Wir sollten jedoch nicht nur über die Technik sprechen, sondern auch darüber, was mit dieser Technik passiert. Um bundesseitig die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte zu unterstützen, haben wir die Kompetenzzentren für digitales Lernen vorangetrieben. Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten für die individuelle Förderung und zeitgemäße Lernmethoden. Diese Chancen wollen wir nutzen.«
Digitale Bildungsinfrastruktur nicht flächendeckend vorhanden
Noch nicht einmal zwei Drittel der Eltern (62 Prozent) geben an, dass ihr Kind einen Internetzugang an der Schule hat. In Sachsen und Brandenburg (jeweils 52 Prozent) sowie Sachsen-Anhalt (51 Prozent) hat sogar nur knapp die Hälfte der Schüler*innen Zugang zum Internet. Damit finden sich die aus dem D21-Digital-Index 2021/2022 bereits bekannten Infrastrukturunterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern auch im Bildungsbereich wieder. Aber auch bei den Spitzenreitern unter den Bundesländern – Bremen (75 Prozent), Berlin (71 Prozent) und Schleswig-Holstein (70 Prozent) – haben laut Eltern nicht alle Schüler*innen an ihrer Schule Zugang zum Internet.
Im Unterricht kommen nach Angabe der Eltern vor allem Tablets (74 Prozent) und Smartphones (72 Prozent) zum Einsatz, gefolgt von Desktop-PCs (64 Prozent). Etwas seltener finden Smartboards und andere interaktive Tafeln (58 Prozent) sowie Notebooks (54 Prozent) Anwendung.
Die Elternstudie zeigt, dass alle Geräte mit Ausnahme der Smartboards überwiegend privat zur Verfügung gestellt werden, vor allem die mobilen digitalen Endgeräte. Entsprechend verhalten fällt das Urteil der Eltern hinsichtlich der schulischen Geräteausstattung aus: Nur knapp die Hälfte (53 Prozent) sind mit der Situation zufrieden, 31 Prozent äußern sich explizit unzufrieden.
»Die Studie legt nahe, dass vor allem private Endgeräte für den digitalen Unterricht genutzt werden. Das muss nicht per se etwas Schlechtes sein, sofern dies Teil einer Gesamtstrategie ist, die sicherstellt, dass alle Schüler*innen Zugang zu hochwertiger Technologie haben. Gerade an einer solchen Strategie hapert es jedoch. Die Realität sieht so aus, dass wir einen Flickenteppich von Lösungen haben«, sagt Prof. Dr. Andreas Schleicher, Direktor der Abteilung für Bildung und Qualifikation bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Infrastruktur und Ausstattung sind die größten Hürden bei der Umsetzung digitalen Unterrichts
Gefragt nach den größten Hindernissen bei der Umsetzung des digitalen Unterrichts sehen 39 Prozent der Eltern vor allem die Geräteausstattung sowie die fehlenden personellen und finanziellen Ressourcen als Hürden an. Von mehr als einem Drittel werden fehlende digitale Lehrmaterialien (36 Prozent) sowie eine zu langsame Internetgeschwindigkeit (34 Prozent) genannt.
Neben einer angemessenen Bildungsinfrastruktur braucht gute und zeitgemäße Bildung auch kompetentes Lehrpersonal. Entsprechend sehen 32 Prozent der Eltern in den mangelnden IT- und Digitalkenntnissen der Lehrkräfte ebenfalls eine substanzielle Hürde. Insgesamt 84 Prozent der Eltern nehmen eine oder mehr Hürden für die Umsetzung von digitalem Unterricht an der Schule ihres Kindes wahr – entsprechend hoch ist auch der Anteil der Eltern, die der Schule attestieren, mit digitalen Unterrichtsmethoden überfordert zu sein (42 Prozent).
Leistungsfähigkeit bei der Vermittlung von Digitalkompetenzen als schwach eingeschätzt
Schüler*innen des 21. Jahrhunderts benötigen verstärkt digitale Kompetenzen, um sich in einer schnell wandelnden Welt selbstbestimmt bewegen zu können. Doch die wenigsten Eltern (45 Prozent) trauen der Schule ihres Kindes diese Aufgabe derzeit zu. Und auch im internationalen Vergleich, so fürchten viele Eltern, können ihre Kinder nicht mithalten: Nur 39 Prozent glauben, dass die Schule ihres Kindes entsprechende digitale Kompetenzen vermittelt. Auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen den Bundesländern – Eltern in den neuen Bundesländern schätzen die Leistungsfähigkeit der Schulen in Bezug auf die Digitalisierung geringer ein.
Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21, sagt hierzu: »Wir sind noch entfernt von dem Ziel, dass Schüler*innen ein grundlegendes Verständnis der Potenziale und Chancen von der Digitalisierung sowie eine Sensibilität für ihre Risiken haben. Dabei ist eine Investition in die Bildung und digitalen Kompetenzen von Kindern auch eine Investition in den Wohlstand des Landes.«
Digitalisierung als Chance begreifen und Vertrauen der Eltern in den Staat hängen zusammen
Nur rund die Hälfte der Eltern (49 Prozent) haben den Eindruck, dass die Schule ihres Kindes Digitalisierung als Chance wahrnimmt. Entsprechend selten werden die Schüler*innen bisher ermutigt, auch außerhalb des Schulunterrichts digitale Geräte und Anwendungen für Schulaufgaben zu nutzen (48 Prozent).
Dabei hat die Wahrnehmung der Eltern, dass eine zeitgemäße Schulbildung eine zentrale Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge sei, auch Einfluss auf ihr Vertrauen gegenüber dem Staat: Wenn die Eltern glauben, dass die Schule ihres Kindes Digitalisierung als Chance wahrnimmt, geben sie beispielsweise deutlich häufiger an, dem Staat zu vertrauen (61 Prozent), als wenn sie das der Schule ihres Kindes nicht zutrauen (12 Prozent). Auch die Zufriedenheit mit der Geräteausstattung an den Schulen hängt mit einem höheren Vertrauen zusammen (62 Prozent vs. 26 Prozent).
»Um die 21st Century Schools so zu gestalten, dass sie die Kinder beim Leben in der digitalen Welt begleiten, braucht es Mut, Bildung neu zu denken. Zukunftsfähige digitale Bildung ist der gesellschaftliche Schlüssel für mehr Chancengleichheit und kann zudem das Vertrauen in den Staat und die Demokratie steigern«, führte Hannes Schwaderer aus.
Hintergrund
Für die Studie »21st Century Schools – Lagebild des digitalen Schulunterrichts in den 16 Bundesländern aus Sicht der Eltern« wurden Antworten von 2.353 Eltern mit mindestens einem schulpflichtigen Kind im Haushalt ausgewertet. Die Daten wurden als Online-Befragung von dem Marktforschungsinstitut Kantar zwischen 19. April und 11. Mai 2022 erhoben und die Ergebnisse sind auf Bundesebene repräsentativ. Die Befragung war integriert in den Rahmen des Studienprojekts eGovernment MONITOR 2022.
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