Künstliche Intelligenz kann beim Kampf gegen Antibiotikaresistenzen helfen
Studie am DIW Berlin zeigt: Systematische Analyse umfassender Patientendaten mit einem Algorithmus hilft, Antibiotika bei Harnwegsinfektionen gezielter zu verschreiben – Breiterer Einsatz von Künstlicher Intelligenz im deutschen Gesundheitssystem mit Potential, aber durch dezentrale Struktur erschwert
Setzt man maschinelles Lernen, ein zentrales Element der Künstlichen Intelligenz (KI), bei der Verschreibung von Antibiotika ein, können diese gezielter verschrieben und somit die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen eingedämmt werden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die das Beispiel von HarnwegsinfektionspatientInnen in Dänemark untersucht. Es ist aber ein langer Weg, bis Daten im deutschen Gesundheitssystem so umfassend erhoben und zentral zur Verfügung gestellt werden, dass eine solche Methode hierzulande systematisch eingesetzt werden könnte – obwohl sie erfolgsversprechend wäre.
Die Studienautoren Hannes Ullrich und Michael Ribers vom DIW Berlin und von der Universität Kopenhagen hatten Zugang zu umfassenden Daten von Patientinnen und Patienten in Dänemark, bei denen eine Harnwegsinfektion vermutet wurde. Die Daten umfassen zum Beispiel vergangene Krankheiten und Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Beruf, Haushaltsgröße und -art und vieles mehr, insgesamt über 1.200 Variablen. Diese Daten wurden maschinell verarbeitet, um für jede Patientin und jeden Patienten das Risiko einer bakteriellen Infektion bei einem ersten Hausarztbesuch vorherzusagen. Ein Vergleich mit den tatsächlichen Laborergebnissen der Tests, die bei den PatientInnen durchgeführt wurden, zeigt, dass die Vorhersagequalität dieser maschinellen Ergebnisse hoch war: In sehr vielen Fällen lag die Vorhersage auf Basis der Datenbearbeitung richtig.
Hätte die so erstellte Risikovorhersage, kombiniert mit ärztlicher Expertise, als Grundlage für die Verschreibung gedient, wären insgesamt rund 7,4 Prozent weniger Antibiotika verschrieben worden, ergeben die Berechnungen der Autoren. Dennoch wären unverändert viele bakterielle Infektionen mit Antibiotika behandelt worden. Die Differenz geht darauf zurück, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ein Antibiotikum verschrieben, bevor die Laborergebnisse vorlagen, oder dass die in den Arztpraxen geführten Schnelltests ungenau waren.
KI nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der ärztlichen Diagnose
»Es geht gar nicht darum, dass Ärztinnen und Ärzte durch künstliche Intelligenz ersetzt werden können«, erläutert Studienautor Hannes Ullrich. »Die Vorhersage auf Basis sehr umfassender und präziser Daten, die der Arzt schon rein zeitlich gar nicht erfragen könnte und an die sich die Patientinnen und Patienten womöglich auch gar nicht im Detail erinnern würden, kann aber eine wertvolle Hilfe bei der Diagnose sein. Und das wiederum hilft, die Verschreibungspraxis zu verbessern«.
Eine gezieltere Verschreibungspraxis, bei der keine Antibiotika ohne Not verschrieben werden, aber auch keine bakteriellen Infektionen unbehandelt bleiben, ist entscheidend für die Eindämmung von Resistenzen, die sich zu einer der wichtigsten gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt haben. Jedes Jahr sterben weltweit rund 700.000 Menschen durch nicht behandelbare Infektionen.
»Unsere Ergebnisse zeigen: Der Einsatz von KI kann ein wichtiger Baustein sein im Kampf gegen die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen. Denn nur wenn Antibiotika zweckdienlich genutzt, also verschrieben werden, kann ihr therapeutischer Nutzen erhalten bleiben«, so Hannes Ullrich.
Einem systematischen Einsatz des maschinellen Lernens im deutschen Gesundheitssystem steht aber noch viel im Weg, sind sich die Studienautoren bewusst. »Die Anwendung solcher Methoden setzt voraus, dass Massen von Daten gesammelt und bereitgestellt werden, natürlich unter Einhaltung strikter Datenschutzstandards und am besten zentralisiert«, so Hannes Ullrich. »Das ist natürlich schwer vereinbar mit der stark dezentralen Struktur des deutschen Gesundheitssystems. Wenn jemand hierzulande Gesundheitsdaten sammelt, dann sind es private Unternehmen und Krankenkassen, von denen es über Einhundert gibt – möglicherweise sammeln sie auch nicht alle die gleichen Daten«.
»Künstliche Intelligenz und Methoden des maschinellen Lernens haben enormes Potential, gerade im Gesundheitsbereich, aber ihre volle Auswirkung werden sie nur entfalten können, wenn die gesellschaftlichen und institutionellen Strukturen sich anpassen. Das wird nur schrittweise geschehen können«, gibt Hannes Ullrich zu bedenken.
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