Inklusion in der Bildung: modellhaft, doch nicht perfekt

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Inklusion (Grafik)

Noch immer tun sich das deutsche Bildungssystem und seine Akteure schwer mit dem Thema Inklusion. Der Begriff scheint in den Medien präsenter als in der deutschen Schullandschaft. Erziehungswissenschaftlerinnen der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Humboldt-Universität Berlin haben innerhalb zweier Projekte über sechs Jahre hinweg genauer beobachtet, wie die Stadt Jena und ihre Schulen die Inklusion von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf angehen. Ihre Ergebnisse präsentieren sie in einem nun veröffentlichten Sammelband.

Vor genau zehn Jahren hat Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Dadurch verpflichtete sich die Bundesrepublik u. a. dazu, Kindern mit Lernbeeinträchtigungen den Besuch einer allgemeinen Schule zu ermöglichen – ein Gedanke, den bereits die UN-Menschenrechtskonvention festgehalten hatte. Doch noch immer tun sich das deutsche Bildungssystem und seine Akteure schwer mit dem Thema Inklusion. Der Begriff scheint in den Medien präsenter als in der deutschen Schullandschaft. Erziehungswissenschaftlerinnen der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Humboldt-Universität Berlin haben innerhalb zweier Projekte über sechs Jahre hinweg genauer beobachtet, wie die Stadt Jena und ihre Schulen die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf angehen. Ihre Ergebnisse präsentieren sie in einem nun veröffentlichten Sammelband.

Jena ist Vorreiter bei Inklusion

»Jena ist in vielerlei Hinsicht Vorreiter, was Inklusion angeht«, sagt Prof. Dr. Bärbel Kracke von der Universität Jena. »Allein schon, dass sich die Zuständigen 2011 wissenschaftliche Expertise ins Boot geholt haben, um zu hinterfragen, wie das Thema an Jenaer Schulen behandelt wird – und mit welcher Qualität –, macht deutlich, welchen Stellenwert sie dem Thema beimessen«. Damals lernten bereits 60 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Lernbeeinträchtigungen in allgemeinen Schulen. Inzwischen sind es sogar 90 Prozent.

Inklusion auch an Gymnasien

Um herauszufinden, was aktuell an Jenaer Schulen passiert, führten die Erziehungswissenschaftlerinnen Interviews mit etwa 140 Personen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. »Wir haben mit Schulleiterinnen und -leitern, Lehrerinnen und Lehrern, Sonderpädagoginnen und -pädagogen sowie mit Eltern gesprochen und darüber hinaus den Unterricht an fast allen Schulen beobachtet«, berichtet Krackes Mitarbeiterin Stefanie Czempiel. Dabei haben die Expertinnen festgestellt, dass Inklusion auch in Jena durchaus nicht von allen Schulen getragen wird, sondern dass es besonders engagierte Einrichtungen gibt, die sich dem Thema sehr intensiv widmen. So seien beispielsweise vor allem die Thüringer Gemeinschaftsschulen eine wichtige Anlaufstelle, da hier Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur zwölften Klasse gemeinsam lernen können und somit ein stabiles Umfeld ohne Schulwechsel gegeben ist.

Gymnasien hingegen verweigern sich größtenteils der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit Lernbeeinträchtigungen und begründen dies mit dem höheren Leistungsanspruch. Doch will Bärbel Kracke das nicht gelten lassen: »Wissenschaftliche Studien sagen ganz klar, dass die schulische Leistung von Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf nicht leiden an Schulen, die inklusiv auch andere Kinder betreuen«, sagt die Jenaer pädagogische Psychologin. »Im Gegenteil dazu zeigen andere Untersuchungen, dass die Sozialkompetenz der Kinder und Jugendlichen dadurch gefördert wird«. Schule sollte immer offen sein für die soziale Vielfalt der Gesellschaft, um die Integration unserer hochkomplexen Gesellschaft zu stärken. Außerdem sei wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Schüler mit Lernbeeinträchtigungen vom Lernumfeld einer allgemeinen Schule profitieren und beispielsweise häufiger befähigt werden, eine Berufsausbildung zu absolvieren.

Learning by doing

»Es gibt viele Schulen hier, die sich dem Thema sehr aktiv zugewandt haben, die Konzepte entwickeln und umsetzen. Und es gibt einige wenige, die sich leider immer noch verweigern«, sagt Kracke. »Die meisten Lehrerinnen und Lehrer stehen dem Thema sehr offen gegenüber. Wir haben in unseren Gesprächen häufig gehört, dass sie es gar nicht als so wichtig empfinden, umfassend theoretisch auf Inklusion vorbereitet zu sein. Viel wichtiger sei es, sich einem Kind mit besonderem Förderbedarf zu öffnen, sich auf die Herausforderung einzulassen, gut mit den Eltern zu kommunizieren und stetig zielgerichtet fortzubilden – dann kommt alles andere während des Machens«.

Die Herangehensweise Jenas im Bereich Inklusion hat Modellcharakter für andere Kommunen, wie Vertreter des Deutschen Städtetages während der die Forschungsprojekte abschließenden Tagung bestätigten. Ihr Erfolg ist vor allem der Sensibilität der Verwaltung gegenüber dem Thema zu verdanken. »Zudem investiert die Stadt viel Geld in Schulbegleitung, die zum einen die Kinder mit Hilfebedarf unterstützen und zum anderen in systemischer Funktion eine gesamte Klasse bereichern kann«, sagt Kracke. Zudem treffe sich ein Kreis aus Akteuren der Verwaltung und der Universität regelmäßig, um Prozesse auszuwerten und weitere mögliche Initiativen auf den Weg zu bringen. Eine Koordinierungsstelle innerhalb der Stadt zur Unterstützung von Eltern mit Kindern mit besonderem Förderbedarf während der gesamten Bildungsbiographie wäre darüber hinaus empfehlenswert.

      

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