Potenziale zur Förderung der Bildungschancen von studieninteressierten Geflüchteten
Stark unterschiedliche Voraussetzungen erschweren erfolgreiche Integration ins Studium in 66 Gastländern – Konferenz Anfang Dezember diskutiert Studienergebnisse und Lösungsvorschläge
Für Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund ist es für ihr weiteres Leben von ganz entscheidender Bedeutung, ob sie in ihrem Gastland einen unkomplizierten Zugang zu Bildung ohne bürokratische Hürden erhalten. Auch aus Sicht der Aufnahmeländer gilt die Teilnahme an Bildungsprogrammen als ein effektives Mittel zur Integration von Geflüchteten und Migranten. Tatsächlich liegen dazu aber sehr wenig Untersuchungsergebnisse vor. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben daher in dem Forschungsprojekt »Success and Opportunities for Refugees in Higher Education« (SUCCESS) untersucht, über welche Voraussetzungen studieninteressierte Geflüchtete in 66 Gastländern verfügen, welchen Schwierigkeiten sie begegnen und was zu ihrer erfolgreichen Integration ins Studium und den Studienerfolg beitragen würde.
»Eine besondere Hürde für die Integration von Geflüchteten in das tertiäre Bildungssystem der Gastländer stellen die extrem unterschiedlichen Voraussetzungen dar, die diese Gruppe von Studieninteressenten mitbringt«, berichtet Prof. Dr. Olga Zlatkin-Troitschanskaia, Leiterin des Verbundprojektes. Das SUCCESS-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Daran beteiligen sich neben der JGU die Online-Plattform Kiron Open Higher Education, die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen und die Hochschule München.
Studie erfasst 1.376 studieninteressierte Geflüchtete auf dem Online-Programm von Kiron Open Higher Education
Kiron Open Higher Education ist eine gemeinnützige Einrichtung mit Sitz in Berlin, die seit 2015 ein Online-Studienprogramm anbietet, das Geflüchteten weltweit offensteht. Die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer sollen dabei unterstützt werden, in ihrem Gastland so bald wie möglich ein reguläres Studium an einer Hochschule aufzunehmen beziehungsweise fortzusetzen. Dazu bietet Kiron eine Online-Lernplattform mit akademischen Bildungsangeboten wie Sprachkurse und fachspezifische Kurse an. Das Forscherteam um Olga Zlatkin-Troitschanskaia hat 1.376 studieninteressierte Geflüchtete, die im Sommer 2017 ein solches Studienprogramm bei Kiron aufgenommen haben, nach ihren Vorkenntnissen und anderen Voraussetzungen befragt und den Lernverlauf auf der Kiron-Plattform und beim Transfer ins reguläres Studium über drei Jahre wissenschaftlich begleitet. Den Forschenden ist dabei aufgefallen, dass die Teilnahme an den Online-Kursen oft unterbrochen wird. Die Ursachen dafür wurden ebenfalls untersucht.
Die studieninteressierten Geflüchteten bei Kiron, so ein zentrales Ergebnis, weisen extrem große Unterschiede im Bildungsstand, bei den individuellen Voraussetzungen sowie auch in den externen Rahmenbedingungen für die Aufnahme eines Studiums auf. Die 1.376 Teilnehmer stammten aus 54 verschiedenen Herkunftsländern, ein Großteil davon aus Syrien mit 37 Prozent der Studienanfänger. Die Geflüchteten waren zum Untersuchungszeitpunkt in 66 verschiedenen Gastländern untergebracht, 28 Prozent in Deutschland, 18 Prozent in Jordanien und 13 Prozent in der Türkei. Ihr Altersdurchschnitt lag bei 28,5 Jahren. Nur 20 Prozent waren weiblich.
Die meisten Kursteilnehmer bei Kiron verfügten über einen Highschool-Abschluss und waren hoch lernmotiviert. Häufig fehlte es ihnen aber an den notwendigen Studienvoraussetzungen. »Das Schulsystem in vielen Herkunftsländern bereitet die Studieninteressenten nicht ausreichend auf ein universitäres Studium vor; viele haben zudem Schwierigkeiten mit der englischen Sprache und die Studierfähigkeit ist oftmals nicht ausreichend gegeben,« erklärt die Wirtschaftspädagogin Zlatkin-Troitschanskaia. Englischkenntnisse sind notwendig, um die Online-Kurse von Kiron zu bewältigen. Jedoch haben drei Viertel der Befragten das Sprachniveau B2 nicht erreicht, das für den Zugang zu akademischer Bildung empfohlen wird. Oftmals haben viele Geflüchtete auch technische Schwierigkeiten bei den Online-Studienangeboten. Es mangelt zum Beispiel in den Flüchtlingscamps an den externen Rahmenbedingungen für ein Online-Studium wie bei Kiron, da die Studieninteressenten keinen Internetzugang, keine Computer oder keine Lernräume haben.
Nicht nur Spracherwerb, sondern auch binnendifferenzierte und individuelle Förderung wichtig
Eine Empfehlung der SUCCESS-Studie ist daher, den Erwerb einer ersten und zweiten Fremdsprache, also Englisch und die Sprache des Gastlandes, zu fördern und ebenso die Beherrschung der Muttersprache auf akademischem Niveau auszubauen. »Aber es geht um deutlich mehr als nur um Sprache und akademische Inhalte«, so Zlatkin-Troitschanskaia. »Die Ursachen für den Studienmisserfolg sind multikausal und dabei wurden soziokulturelle Faktoren bisher zu wenig berücksichtigt.« Die Bildungsexpertinnen und -experten empfehlen dringend, den Bildungsangeboten auf Kiron eine objektive und zuverlässige Eingangsdiagnostik vorzuschalten, um die tatsächlichen Vorkenntnisse und studienrelevanten Fähigkeiten zu erfassen. Außerdem sollten Lernverlaufsdaten erhoben und für ein individualisiertes Feedback genutzt werden. »Geflüchtete oder Studierende mit Migrationshintergrund brauchen vermehrt individuelle, angepasste und spezifische Ansätze und Maßnahmen, um ihre Integration in das akademische Bildungssystem und ihren Studienerfolg zu fördern«, heißt es in einer Projektdarstellung.
Die Ergebnisse von SUCCESS werden vom 4. bis 6. Dezember 2019 im Rahmen einer internationalen Konferenz in Berlin vorgestellt und mit Bildungsexperten und Vertretern der Politik diskutiert. Die Konferenz »Digital Approaches to Increasing Equity in Higher Education – Opening Universities for Refugees« wird vom BMBF gefördert und findet an der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Das Programm ist unter https://success-eng.uni-mainz.de/events/ zu finden. Die interessierte Öffentlichkeit ist hierzu ebenfalls herzlich eingeladen.