Europäischer Forschungsraum

(Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten)
Logo EU-Kommission
Neuer Plan der EU-Kommission zur Unterstützung des grünen und des digitalen Wandels und des EU-Aufbaus 
 
Am 30.09.2020 hat die Europäische Kommission eine Mitteilung zu einem neuen Europäischen Forschungsraum für Forschung und Innovation angenommen. Dieser Europäische Forschungsraum – begründet auf Spitzenleistungen, wettbewerbsfähig, offen und talentbasiert – wird zu einer besseren Forschungs- und Innovationslandschaft in Europa führen, indem der Wandel der EU hin zu Klimaneutralität und digitaler Führungsstärke beschleunigt, der gesellschaftliche und wirtschaftliche Aufbau nach der Coronakrise unterstützt und seine Widerstandsfähigkeit in künftigen Krisen gestärkt werden.
 
Die EU-Kommission setzt auf strategische Ziele und Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, damit vorrangig in Investitionen und Reformen in den Bereichen Forschung und Innovation investiert wird, Forschungskräfte in der gesamten EU besseren Zugang zu Einrichtungen der Spitzenklasse erhalten und der Transfer von Forschungsergebnissen auf den Markt und in die Realwirtschaft gelingt. Weitere Schwerpunkte der Mitteilung sind die Förderung der Mobilität, der Kompetenzen und der beruflichen Entwicklung von Forschungskräften in der EU, ebenso wie die Gleichstellung der Geschlechter und ein besserer Zugang zu staatlich finanzierter Wissenschaft, deren Erkenntnisse von Fachleuten überprüft wurden.
 
Die Exekutiv-Vizepräsidentin für ein Europa für das digitale Zeitalter, Margrethe Vestager, erklärte dazu: »Die EU ist durch ihre Forschung und ihre wissenschaftlichen Spitzenleistungen bereits innovativ. Darauf möchten wir aufbauen und noch mehr dafür tun, dass den marktorientierten Innovationen der Durchbruch gelingt. So soll Europa grüner und digitaler werden und auch das Wachstum angekurbelt, mehr Beschäftigung geschaffen und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Heute setzen wir uns ein neues ehrgeiziges Ziel: einen Europäischen Forschungsraum, der die Zusammenarbeit erleichtert und zu einer wettbewerbsfähigeren europäischen Industrie beiträgt.«
 
Mariya Gabriel, EU-Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend, erklärte: »Wir leben in Zeiten, in denen eine schnelle und wirksame Kooperation für wissenschaftliche Arbeit unerlässlich ist. Wir müssen den Europäischen Forschungsraum stärken. Einen Raum, der ganz Europa umfasst, weil Wissen keine Staatsgrenzen kennt, weil Zusammenarbeit mehr wissenschaftliche Erkenntnisse hervorbringt, weil Wissen, dessen Qualität offen geprüft wurde, vertrauenswürdig ist. Außerdem bringt ein solcher Forschungsraum mehr Spitzenleistungen hervor und unterstützt eine innovative, weniger risikoscheue Industrie, die eine widerstandsfähige, ökologische und digitale Zukunft mitgestaltet.«
 
Seit dem Jahr 2000 konnte mit dem Europäischen Forschungsraum sehr viel erreicht werden. Und dennoch müssen wir in den heutigen Zeiten darüber nachdenken, wie wir seine Rolle stärken, seine Kernziele besser definieren bzw. umsetzen und ihn als gemeinsamen Raum für nutzbringende Forschung und Innovation attraktiver machen können. Darüber hinaus steht Europa derzeit vor großen gesellschaftlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die die Coronakrise noch verschärft hat. Forschung und Innovation sind daher von entscheidender Bedeutung, wenn diese Herausforderungen gemeistert und der Aufbau Europas wie auch der grüne und der digitale Wandel gewährleistet werden sollen.
 
Ziele des neuen Europäischen Forschungsraums
 
Ausgehend von Europas Führungsposition bei Innovation und Spitzenleistungen in der Wissenschaft soll mit dem neuen Europäischen Forschungsraum eine bessere Koordinierung und Zusammenarbeit in der EU, ihren Mitgliedstaaten und dem privaten Sektor angeregt, mehr in Forschung und Innovation investiert sowie die Mobilität der Forschungskräfte, ihr Fachwissen und der Wissensfluss gefördert werden.
 
In der Mitteilung werden vier strategische Ziele festgelegt:
 
1. Priorisierung von Investitionen und Reformen in den Bereichen Forschung und Innovation für eine Förderung des ökologischen und des digitalen Wandels zur Unterstützung des Aufbaus Europas und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.
 
Dass die EU Forschung und Innovation unterstützt, ist bereits in diversen Programmen vorgesehen, z. B. in Horizont Europa, der Kohäsionspolitik und Next Generation EU. Um die gewünschten positiven Veränderungen zu bewirken und qualitativ hochwertige Ergebnisse zu gewährleisten, muss die EU-Unterstützung durch Investitionen der Mitgliedstaaten und des privaten Sektors ergänzt werden. In der Mitteilung wird das Ziel, 3 % des BIP in Forschung und Innovation in der EU fließen zu lassen, bestätigt und eine weitere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten angeregt. Außerdem soll eine Angleichung der nationalen Bestrebungen durch die Zielvorgabe erfolgen, dass spätestens bis 2030 5 % der nationalen öffentlichen Förderung für gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprogramme und europäische Partnerschaften bereitgestellt werden.
 
Eckpfeiler für alle Investitionen im Rahmen des Europäischen Forschungsraums bleibt der Grundsatz der Spitzenleistung, d. h. die Forschungskräfte mit den besten Ideen können eine Förderung erhalten.
 
2. Verbesserung des Zugangs zu Einrichtungen und Infrastrukturen der Spitzenklasse für Forschungskräfte in der gesamten EU.
 
Die Mitgliedstaaten investieren unterschiedlich in Forschung und Innovation. So entstehen Lücken bei wissenschaftlichen Spitzenleistungen und Innovationen, die es zu schließen gilt. Die EU unterstützt bereits schwächere Länder, u. a. mit maßgeschneiderten Lösungen vor Ort, und Horizont Europa wird dies weiter gewährleisten, und zwar durch verbesserte Kooperationen mit erfahreneren Einrichtungen, um einen breiteren Zugang zu Spitzenleistungen zu erreichen. Die EU-Kommission schlägt vor, dass Mitgliedstaaten, die gemessen am BIP weniger als der EU-Durchschnitt in Forschung und Innovation investieren, in den nächsten fünf Jahren diese Investitionen um 50 % aufstocken sollen.
 
Dazu werden entsprechende Schulungs- und Mobilitätsprogramme zwischen Industrie und Hochschulwelt ins Leben gerufen, die es Forschungskräften ermöglichen, in anderen Ländern Zugang zu Einrichtungen mit Spitzenleistungen zu erhalten und ihre Erfahrungen zu erweitern. Um dem Fortschritt auf dem Weg zur exzellenzbasierten Forschung Rechnung zu tragen, sollten Mitgliedstaaten, die bei den häufig zitierten Veröffentlichungen unter dem EU-Durchschnitt liegen, in den nächsten fünf Jahren ihren Rückstand um mindestens ein Drittel aufholen.
 
3. Transfer der Ergebnisse in die Wirtschaft zur Ankurbelung von Geschäftsinvestitionen und Vermarktung von Forschungsergebnissen sowie Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Führungsstärke der EU im globalen technologischen Kontext.
 
Um die Forschungsergebnisse schneller in die Realwirtschaft einfließen zu lassen und die Durchführung der neuen Industriestrategie zu unterstützen, wird die EU-Kommission die Ausarbeitung von gemeinsamen Technologieplänen mit der Industrie befürworten, mit denen bei zentralen internationalen Projekten mehr private Investitionen mobilisiert werden können. So wird die Entwicklung wettbewerbsfähiger Technologien in wichtigen strategischen Bereichen gefördert und gleichzeitig die Präsenz Europas auf der globalen Bühne sichergestellt.
 
Parallel dazu wird die EU-Kommission genau überwachen und eruieren, ob bis 2022 ein Vernetzungsrahmen ausgearbeitet werden kann, der – wie die Exzellenzzentren oder die digitalen Innovationszentren – auf bestehenden Einrichtungen und Kapazitäten aufbaut und so die Zusammenarbeit und den Austausch bewährter Verfahren erleichtert. In diesen zwei Jahren wird die EU-Kommission Leitgrundsätze aktualisieren oder erarbeiten, die sicherstellen, dass Innovation wertgeschätzt werden und lohnend sein kann, wie auch einen Verhaltenskodex für den intelligenten Einsatz von geistigem Eigentum, mit dem dieses wirksam und bezahlbar geschützt werden kann.
 
4. Förderung der Mobilität von Forschungskräften und von Wissensfluss und Technologieverkehr durch vermehrte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, damit jeder von der Forschung und ihren Ergebnissen profitieren kann.
 
Die EU möchte die beruflichen Perspektiven verbessern, um die besten Forschungskräfte in Europa anzuwerben und zu halten oder Anreize für eine Laufbahn außerhalb der Hochschulwelt zu geben. Dazu wird sie bis Ende 2024 in Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten und Forschungsorganisationen Instrumente für die Unterstützung der Laufbahn von Forschungskräften schaffen. Dazu gehören ein Forschungskräftekompetenzrahmen zur Ermittlung von Schlüsselqualifikationen und Qualifikationsungleichgewichten, ein Mobilitätsprogramm zur Unterstützung des Austauschs und der Mobilität von Forschungskräften in Industrie und Hochschulwelt, gezielte Möglichkeiten für Schulungen oder berufliche Weiterentwicklung im Rahmen von Horizont Europa und eine zentrale Anlaufstelle zur leichteren Informationsbeschaffung und Verwaltung des eigenen Lernwegs und der beruflichen Laufbahn.
 
Die EU wird auf das Erreichen dieser strategischen Ziele hinarbeiten und dabei in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten 14 Maßnahmen umsetzen, die ineinandergreifen und für die Schaffung des Europäischen Forschungsraums von zentraler Bedeutung sind. Des Weiteren wird die EU-Kommission ein Europäisches Forum für den Übergang ins Leben rufen. Auf diesem Forum für strategische Diskussionen mit den Mitgliedstaaten werden letztere bei der kohärenten Umsetzung dieser vier Ziele unterstützt. Außerdem wird die EU-Kommission im ersten Halbjahr 2021 den Mitgliedstaaten einen Pakt für Forschung und Innovation in Europa vorschlagen, der die zugesagten Bestrebungen für gemeinsame politische Strategien und Grundsätze bestärkt und Gebiete aufzeigt, in denen sie gemeinsam prioritäre Maßnahmen entwickeln sollen.
 
Als Teil der Initiativen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung und zur Schaffung eines ökologischen und digitalen Europas hat die EU-Kommission neben dem neuen Europäischen Forschungsraum einen neuen Aktionsplan für digitale Bildung, mit dem die Bildungs- und Berufsbildungssysteme an das digitale Zeitalter angepasst werden, und eine Mitteilung zum Europäischen Bildungsraum für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum angenommen.
 
Hintergrund
Der Europäische Forschungsraum wurde 2000 eingerichtet, damit die Forschungs- und Innovationssysteme Europas besser organisiert und integriert werden. Außerdem sollte es so zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen der EU, den Mitgliedstaaten, ihren Regionen und ihren Akteuren kommen. Weitere Ziele des Forschungsraums sind die Freizügigkeit von Forschungskräften, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologie, die Förderung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit sowie die Verbesserung und Koordinierung von Forschungs- und Innovationsstrategien und -programmen der Mitgliedstaaten.
 
2018 rief der Rat der Europäischen Union dazu auf, im Jahr 2020 den Europäischen Forschungsraum in einer neuen Kommissionsmitteilung zu überarbeiten. Im Dezember 2019 berieten die Mitgliedstaaten anhand einer Stellungnahme des Ausschusses für den Europäischen Raum für Forschung und Innovation über die Zukunft des Raums.
 
Im Rahmen der Reaktion der EU auf die Corona-Pandemie rief die EU-Kommission im April dieses Jahres den Aktionsplan »ERAvsCorona« ins Leben, den die EU-Kommission und die nationalen Regierungen gemeinsam als Arbeitsunterlage entwickelt haben. Grundlage hierfür waren die allgemeinen Ziele und Instrumente des Europäischen Forschungsraums. Er umfasst kurzfristige Maßnahmen (enge Koordinierung, Zusammenarbeit, Datenaustausch und gemeinsame Finanzierungen).

 

  LINKS  

 

Reform des WissZeitVG: Sachverständige fordern stabile Arbeitsbedingungen
Wissenschaft ohne Dauerstellen? Ausschuss diskutiert prekäre Beschäftigung und Befristungen In einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch sprachen sich Experten geschlossen für eine...
Wirtschaftspolitisches Interesse junger Menschen: Wissensdefizit und Partizipationswünsche
Jugendbefragung zeigt: Junge Menschen wollen Wirtschaft besser verstehen Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass das Interesse junger Menschen in Deutschland an Wirtschaftsthemen zwar groß ist, viele sich aber nicht ausreichend...
Steigende Cybergefahr für Unternehmen
Cyberangriffe: Herausforderungen und Maßnahmen in der DACH-Region Mit zunehmender Digitalisierung steigt auch die Gefahr von Cyberattacken auf Unternehmen. Eine aktuelle Studie von Deloitte zeigt, dass fast jedes Unternehmen in der DACH-Region (...

 

 

Die fünf meistgelesenen Artikel der letzten 30 Tage in dieser Kategorie.

 

.