Fernprüfungsregelungen in Deutschland
Bundesländer im Vergleich
Seit nun fast zwei Jahre ist der Alltag an den Hochschulen vorrangig von Distanzlehre geprägt. Was bei der Umstellung auf Online-Formate in der Lehre recht gut geklappt hat, sah bei den Prüfungen jedoch zum Teil ganz anders aus. Digitale (Aufsichts-)Klausuren wurden, wenn überhaupt, nur »mit Bauchschmerzen« durchgeführt, weil rechtliche Rahmenbedingungen lange Zeit unklar waren.
Für das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) ein Anlass, einen Blick auf die Landesverordnungen und Hochschulgesetze zu werfen. Was hat sich in den letzten zwei Jahren in den Bundesländern getan? Inwieweit wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst?
Im März 2022 »feiert« die pandemiebedingte Distanzlehre ihr zweijähriges Bestehen, denn seit dem Frühjahr 2020 sind die Hochschulen – mit einigen Ausnahmen, etwa während der Entspannung der Infektionslage im Frühjahr 2021, wo Präsenz- oder Hybridformate möglich waren – bundesweit im digitalen Notbetrieb. Präsenzprüfungen wurden vielerorts digital abgehalten, ohne dass Klarheit über den rechtlichen Rahmen herrschte. Entsprechend ratlos standen Dozierende, Prüfende, und Studierende vor der Herausforderung einer digitalen Prüfung. Besonders das Thema Proctoring war und ist das Schreckgespenst vieler während der Prüfungsphase, doch auch andere Fragen waren ungeklärt: Was dürfen Prüfende von Studierenden verlangen? Welche Daten dürfen gespeichert werden? Sind Aufzeichnungen erlaubt? Dürfen diese auch ausgewertet werden? Wo werden die Daten gespeichert? Werden sie danach gelöscht bzw. wann müssen sie gelöscht werden?
Und: Wie können digitale Prüfungen für die Zukunft aussehen? Das HFD-Whitepaper »Digitale Prüfungen in der Hochschullehre« hat unterschiedliche Szenarien vorgestellt, doch offen gelassen, wie es mit den rechtlichen Rahmenbedingungen aussieht. Grund genug, nach zwei Jahren digitalem Hochschulnotbetrieb ein Zwischenfazit zu ziehen: Welches Bundesland hat digitale (Fern-)Prüfungsformate in seinem Landeshochschulgesetz und welches (nur) innerhalb seiner Coronaverordnung verankert? Gibt es auch Bundesländer ohne digitale Fernprüfungsordnung? Zur besseren Übersicht haben wir die Bundesländer nach dem Grad der Verankerung digitaler Prüfungsformate in den jeweiligen Regelwerken geclustert.
Haben oder nicht haben – eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Corona-Prüfungsregelungen
Cluster 1: Fernprüfung im Landeshochschulgesetz
Unsere Recherche zeigt, dass neun deutsche Bundesländer eine fernprüfungsrechtliche Verankerung in ihren Hochschulgesetzen haben. Den Anfang machen zwischen September 2020 und Juli 2021 in chronologischer Reihenfolge Bayern, Baden-Württemberg, Hessen Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Berlin. Die jüngsten Gesetzesänderungen haben Schleswig-Holstein und Niedersachsen Ende Januar 2022 vorgenommen, um die Fernprüfungen rechtlich zu regeln.
In Bayern wurde Ende September 2020 die Bayerische Fernprüfungserprobungsverordnung (BayFEV) verabschiedet. Diese soll es ermöglichen, Prüfungen digital durchzuführen und technische Überwachungsmittel zur Täuschungsverhinderung einzusetzen. Die Verordnung ist jedoch nur bis zum 30.09.2024 gültig. Drei Monate später folgten die Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen. Während Baden-Württemberg dem Hochschulgesetz (HSG) die Paragrafen 32a und 32b hinzufügte, die den Hochschulen einen Rechtsrahmen für digitale Prüfungen gaben, reagierte Hessen im Dezember 2020 mit der Fernprüfungsdurchführungsverordnung (FernPrüfDV) und erlaubte den Hochschulen die Aufnahme von Bild- und Tondaten im Rahmen der Notwendigkeit für den Prüfungsprozess. Baden-Württembergs Paragrafen haben keine Gültigkeitsfrist, Hessens FernPrüfDV ist bis zum 31.03.2022 beschränkt.
Im Frühjahr 2021 folgten Sachsen-Anhalt sowie Rheinland-Pfalz und Thüringen. Sachsen-Anhalt verabschiedete Ende Januar 2021 eine Fernprüfungsverordnung und verankerte diese im Landesrecht. Sie soll dazu beitragen, digitale Fernprüfungsszenarien zu erproben und digitale Prüfungsformate als zusätzliches Prüfungsformat anzubieten. Gleiches gilt inhaltlich in Rheinland-Pfalz. Dort ist die Landesverordnung zur Erprobung elektronischer Fernprüfungen auf den 31.03.2026 befristet. Thüringen hat die Fernprüfungsregelung in das Hochschulgesetz integriert, dort dient sie als rechtliche Orientierungshilfe. Eine inhaltliche Erprobung ist nicht inbegriffen.
Berlin reagierte Ende September 2021 und fügte dem Hochschulgesetz zwei weitere Paragraphen hinzu. § 126a und § 127b sind dabei explizit auf die pandemiebedingten Auswirkungen auf die Studierendenschaft und Prüfungen zugeschnitten, während § 32 Abs. 8 es den Hochschulen erlaubt, digitale Fernprüfungen durchzuführen.
Den Abschluss machen Schleswig-Holstein und Niedersachsen. In einer Pressemitteilung vom 28.01.2022 erklärt das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur die geplanten Neuerungen im Hochschulgesetz von Schleswig-Holstein wie folgt: »Die Förderung der Digitalisierung (...) [wird] als Aufgabe der Hochschule etabliert (...) und die Regelung elektronischer Prüfungen durch die Satzungen der Hochschulen [wird] ermöglicht«. Zusätzlich dürfen Hochschulen seit dem 15.05.2020 nach § 105 Abs. 3 HSG abweichende Prüfungsformate anbieten.
Niedersachsen hat im Januar 2022 eine Novelle beschlossen, die seit dem 06.02.2022 gültig ist. § 7 Abs. 4 dieser Novelle erlaubt es den Hochschulen, digitale Prüfungsformate durchzuführen. Die Prüfungsordnung muss dafür Bestimmungen zur Sicherung des Datenschutzes, der individuellen Leistungserbringung, zur Authentifizierung der Studierenden und zum Umgang mit technischen Problemen treffen.
Cluster 2: Fernprüfung in der Coronaverordnung und im Hochschulgesetz
Anders als die neun Bundesländer, die digitale Prüfungen in ihren Landeshochschulgesetzen verankert haben, haben Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg Fernprüfungsregelungen in ihre Hochschulgesetze integriert. Der Unterschied besteht darin, dass die Bundesländer in ihren Coronaverordnung zusätzliche Fernprüfungsregelungen treffen.
Im Juni 2021 integrierte Mecklenburg-Vorpommern in Reaktion auf das Pandemiegeschehen § 38 in das Landeshochschulgesetz. In Absatz 11 dieses Paragraphen wird erklärt, dass die Teilnahme an digitalen Prüfungen freiwillig ist und dass Studierende, die an der digitalen Prüfung teilnehmen, durch digitale Kommunikationseinrichtungen überwacht werden. Näheres sollten die Hochschulen in ihren Satzungen regeln. Diese Regelungen bedürfen der Zustimmung des zuständigen Ministeriums, um wirksam zu werden.
Laut der geltenden Coronaverordnung für Hochschulen dürfen die Hochschulen nach § 4 Absatz 2 ungeimpfte, bzw. nichtgenesene Studierende unter räumlicher Trennung von geimpften Studierenden zur Prüfung vor Ort zulassen. Diese Verordnung war in Mecklenburg-Vorpommern bis zum 20.02.2022 gültig.
In Hamburg trat Anfang Oktober letzten Jahres § 60 des Hochschulgesetzes in Kraft. Absatz 2a dieses Hamburger Hochschulgesetzes ermöglicht es Hochschulen per Prüfungsordnung, digitale Fernprüfungen anzubieten. Dafür müssen die Hochschulen den Datenschutz, Authentifizierung und die Leistungserbringung gewährleisten und den Umgang mit technischen Problemen festhalten. Gemäß § 22 Abs. 6 der Coronaverordnung muss für Präsenzprüfungen ein Schutzkonzept erstellt werden. Ansonsten gilt § 22 Abs. 1: Hochschulen entwickeln individuelle Schutzkonzepte. Diese Verordnung ist bis zum 26.02.2022 befristet.
In Bremen gilt die Verordnung zu Prüfungen in digitalen Formaten, die die Senatorin für Wissenschaft und Häfen, Dr. Claudia Schilling, Ende Februar 2021 nach § 62 Abs. 1 Satz 4 des Hochschulgesetztes erließ. § 62 der aktuellen Fassung ist seit Anfang Februar 2021 in Kraft und sagt »Hochschulen sollen die Einzelheiten zur Zulassung und Durchführung digitaler Prüfungen per Satzung festlegen«. Die Digitalprüfungsverordnung bestimmt also die nähere Zulassungs- und Durchführungsbestimmung.
Nordrhein-Westfalen reagierte bereits 2019 auf die Herausforderung der digitalen Prüfung und fügte § 64 des Hochschulgesetzes einen Satz hinzu, der es den Hochschulen erlaubt, digitale Prüfungen vorzunehmen. Nach der aktuellen Coronaverordnung vom 01.10.2021 dürfen nach § 6 Abs. 1 Hochschulen digitale Prüfungen durchführen, die verantwortlichen Rektor*innen dürfen dazu nähere Bestimmungen zur Prüfungsabnahme erlassen. Die Verordnung gilt bis zum 01.04.2022.
Ende September 2020 fügte Brandenburg seinem Hochschulgesetz § 8a hinzu, der es dem für Wissenschaft zuständigen Mitglied der Landesregierung gestattet, Rechtsverordnungen, u. a. bezüglich Prüfungen, zu erlassen. Gleichzeitig hat das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Kultur eine Coronaverordnung für Hochschulen auf Basis der allgemeinen Coronaverordnung des Landes Brandenburg erlassen.
Cluster 3 – Keine Fernprüfungsregelungen
Die letzte Clustereinheit bildet die Gruppe derer, die überhaupt keine Fernprüfungsregelungen haben. Zu dieser Gruppe gehören Sachsen und das Saarland.
In der bis zum 10.02.2022 geltenden Coronaverordnung hatte das Saarland in Teil 5 § 13 festgelegt, dass Hochschulen für ihren Lehrbetrieb Online-Angebote mit einbeziehen sollen. Ob das auch für Prüfungen galt, ist unklar. Die Lehre sollte – wenn möglich – unter Einhaltung eines Hygienekonzeptes in Präsenz stattfinden.
Genauso unklar in Bezug auf digitale Fernprüfungen ist die Situation in Sachsen. In der sächsischen Coronaverordnung in der Lesefassung vom 02.02.2022 kommt das Wort »Hochschule« nur dreimal vor. Das Thema digitale Prüfung bzw. Fernprüfung wird gar nicht erwähnt. Lediglich in § 15 Abs. 4 der Coronaverordnung heißt es, dass kein Präsenzprüfungsverbot für Hochschulen gilt.
Fazit
Die überwiegende Mehrheit der Bundesländer (14 von 16) hat Fernprüfungsregelungen hochschulrechtlich verankert. Thematisch gleichen sich die Hochschulgesetze. Die hinzugefügten Paragrafen regeln häufig das Datenrecht, die Daten- und IT-Sicherheit, Privatsphäre, die inhaltliche Ausrichtung, die zur Prüfungsgewährleistung gerechtfertigte Datenspeicherung und Prüfungsüberwachung sowie den Umgang mit gespeicherten Daten.
In einigen Fällen, etwa in Bayern, Sachsen-Anhalt oder Hessen, weisen die Gesetze eine explizit zukunftsgerichtete Formulierung auf. Die Gesetze sollen dazu beitragen, neue Formen von Prüfungsformaten in der digitalen Sphäre zu entwickeln und zu erproben und doch sind unter digitalen Fernprüfungen Fernklausuren und mündliche Prüfungen verstanden.
In Hinblick auf die gegenwärtige akute Notlage und die daraus resultierenden Unsicherheiten, gewähren diese neuen Gesetze den Hochschulen aber größtenteils nicht die notwendige Freiheit, die diese zur Entwicklung und Erprobung innovativer Prüfungsformate benötigen würden. So hat beispielsweise das CHE Centrum für Hochschulentwicklung in einer Stellungnahme zur Hochschulgesetznovelle in Hessen angemahnt, dass der Fokus auf Rechtssicherheit liegt und nur schriftliche Aufsichtsarbeiten bedacht worden sind. Der Sicherheitsaspekt sei zwar wichtig, ermögliche aber keine innovativen Prüfungsformate, so das CHE.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass einige Fernprüfungsgesetze und -verordnungen befristet sind, ohne eine Zielsetzung artikuliert zu haben. Eine denkbare Alternative wäre es, den Hochschulen die unbefristete Freiheit für Innovationen in ihrem Prüfungswesen zuzugestehen, um allen Ideen einen Raum zur Entfaltung, Erprobung und Wirkung zu ermöglichen.
Auch stellt sich die Frage, wie zukunftsfähig die gegenwärtigen digitalen Prüfungsformate sind, was Studierende über sie denken und sagen und welche Zukunft die Hochschulleitungen für Prüfungen in einer digitalen Hochschulwelt sehen. Im HFD-Arbeitspapier "Zukunftskonzepte in Sicht?" wurden Hochschulleitungen zu ihren strategischen Schlussfolgerungen aus der Pandemie befragt, auch (digitale) Prüfungen waren ein Thema der Befragung.
Autor: Lennart Folgner
Quelle: Hochschulforum Digitalisierung
Dieser Text steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International - CC BY-SA 4.0.
LINKS
- ...