Bildungsbiografien Zugewanderter zwischen Qualifikation und Re-Qualifizierung
Migrant*innen in Weiterbildung?
Die Vorstellung ist oft, dass es sich um Integrations- oder Sprachkurse handeln muss. Dabei sind die Bildungsteilnahmen nach Deutschland zugewanderter Erwachsener weitaus vielfältiger. Sie sind aber trotz neuerer Gesetze und diverser Bildungsangebote weder selbstverständlich noch für alle gleich.
Im Fokus von Milena Prekodravacʼ Studie stehen Besuche formaler Bildungsangebote als Re-Qualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund einer im Ausland erreichten Qualifikation. Sie zeigt auf, wie Migrant*innen innerhalb unterschiedlicher institutioneller Rahmen mit Bildung in Deutschland an diese Qualifikation anknüpfen oder nicht.
Wie erleben Menschen, die im Ausland bereits eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben, qualifizierende Bildungsangebote in Deutschland? Welche Voraussetzungen bringen sie mit, und in welchem rechtlichen Rahmen können, müssen oder sollen sie an Bildung teilnehmen?
In ihrem jüngst erschienenen Buch spürt Milena Prekodravac die Bildungswege von Migrant*innen nach, die augenscheinlich mehr Möglichkeiten haben, als Generationen von Einwander*innen zuvor. So merkt sie an: »Neue Programme zur Gewinnung von Pflegekräften, eine intensivierte Fachkräftesuche, das sogenannte Anerkennungsgesetz oder die Internationalisierung von Hochschulräumen sollen es möglich machen. Diese und weitere Maßnahmen bedeuten nicht zwangsläufig eine Überwindung von Grenzen, die sich in Deutschland innerhalb des Migrationsprozesses bemerkbar machen. Und wir wissen eigentlich noch relativ wenig darüber, wie es ist, einen Bildungsabschnitt zu durchlaufen, der doch eigentlich schon abgeschlossen war.«
Um mehr darüber herauszufinden, hat Prekodravac Interviews mit im Ausland Qualifizierten beispielsweise aus der Pflege oder den Wirtschaftswissenschaften geführt, die in Deutschland unterschiedliche nachschulische Bildungsangebote besuchten. Dazu gehörten neben nicht-betrieblichen Kursen inner- und außerhalb des sogenannten Anerkennungsverfahrens auch das Studium unterschiedlicher Fächer oder die Ausbildung in sogenannten Mangelberufen. Der Schwerpunkt ihrer Studie liegt dabei auf der Rekonstruktion von acht Biografien entlang von Bildungs- und Berufsstationen.
Die Göttinger Soziologin verfolgt dabei einen biografischen Forschungsansatz und koppelt Erfahrungen der Migrant*innen zurück an die jeweiligen institutionellen Rahmen, die an Voraussetzungen sowie aktuelle Anforderungen gebunden sind: »Hierbei zeigen sich Unterscheidungen, die beispielsweise entlang von Staatsbürgerschaften, Bedarfen, der Art des Berufs oder der Bildung gemacht werden. Hinzu kommen Zuschreibungen in Verbindung mit dem Alter und geschlechterbezogenen Sorgeverpflichtungen, aber auch Rassismus als prägende und teilweise wegweisende Erfahrungen«, konstatiert die SOFI-Forscherin und ergänzt: »Dabei legen die Migrant*innen, auch in Abhängigkeit von der in Deutschland besuchten Bildungsform, einen jeweils unterschiedlichen Umgang mit der vorhandenen Qualifikation an den Tag. Einige versuchen an ihre Qualifikation anzuknüpfen, nicht selten über den Weg der Bildung. Andere wiederum orientieren sich in eine ganz neue Richtung. Entweder weil sie es wollen oder weil sie aufgrund rechtlicher Restriktionen und arbeitsmarktbezogener Ausschlüsse müssen. Ebenso kommen Diskriminierungen und Vorbehalte von Arbeitgeber*innen zum Tragen.«
Eine erneute Bildungsteilnahme, die Prekodravac als Re-Qualifizierung konzeptualisiert, steht jedoch nicht alleine im Zeichen einer ökonomischen Verbesserung. Sie wird auch nicht nur durch juristische Beschränkungen bestimmt. Vielmehr zeigt sich, dass das Phänomen der ‚erneuten Bildungsteilnahme‘ von Reaktualisierungen vorhandener Kompetenzen begleitet wird und Reorientierungen im Lebenslauf erfordert. Das Re- der Qualifizierung verweist daher auf die Wiederaufnahme von Bildung in der Migration, und das gegen viele Widrigkeiten. Dabei kommt es zu Justierungen zwischen dem vorhandenen Abschluss und der erneuten Bildungsteilnahme, bei der die Institutionen Sorge, Nationalstaat, Zertifikate und Beruf stark auf die Biografien wirken, die Migrant*innen sich selbst aber auch aktiv mit einbringen.
Bibliographie
Prekodravac, Milena (2022): Grenzjustierungen. Bildungsbiografien Zugewanderter zwischen Qualifikation und Re-Qualifizierung. Bielefeld: transcript, 378 Seiten, 49,00 € (Print), Open Access (kostenloser Download).