Alphabetisierung: Funktionierende Ansätze für Erwachsene adaptieren

(Geschätzte Lesezeit: 2 - 4 Minuten)
Uni Hamburg

Studie zeigt Einschätzungen zur Übertragbarkeit

Die Nachfrage nach Integrationskursen mit Alphabetisierung ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Doch fehlt es an Alphabetisierungskonzepten für diese sehr heterogene Gruppe der erwachsenen Zugewanderten. Ein interdisziplinäres Team der Erziehungswissenschaft hat erforscht, inwieweit Alphabetisierungsansätze aus der Schule auch für Erwachsene verwendet werden können.

Wenn erwachsene Personen lesen und schreiben lernen wollen, stehen sie ganz anderen Herausforderungen als Kinder gegenüber – insbesondere, wenn sie gleichzeitig noch Deutsch als Zweitsprache lernen. Lehrende in Alphabetisierungskursen müssen diesen Herausforderungen konzeptionell begegnen – und können dabei auf bewährte Ansätze aus anderen Kontexten zurückgreifen.

Ansätze aus der Schule in Alphabetisierungskurse übertragen – geht das?

Prof. Dr. Anke Grotlüschen, Prof. Dr. Astrid Müller und Tina Waschewski aus den Arbeitsbereichen Didaktik der Sprachen und Erwachsenenbildung der Fakultät für Erziehungswissenschaft haben untersucht, inwiefern die Übertragung von Konzepten aus Sicht der Kursleiter*innen gelingen kann.

Genauer: Ob schriftstrukturorientierte Ansätze, die in allgemeinbildenden Schulen bereits erfolgreich für das Lesen- und Rechtschreibenlernen eingesetzt wurden, auch für Alphabetisierungskurse adaptiert werden können. Dazu lernten erfahrene Kursleitungen aus Alphabetisierungskursen in eintägigen Workshops den schriftstrukturorientierten Ansatz kennen. Der schriftstrukturorientierte Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass geschriebene prototypische deutsche Wörter (Zweisilber, in denen im gesprochenen Wort die erste Silbe betont wird) den Ausgangspunkt der Analyse bilden und Lernende somit von Beginn an Einsicht in den Aufbau von nativen deutschen Wörtern erhalten.

Anschließend wurden die Kursleiter*innen in Interviews, die von einer externen Person durchgeführt wurden, dazu befragt, ob, und wenn ja, mit welchen Anpassungen dieser Ansatz in Alphabetisierungskursen eingesetzt werden kann. Die Argumente wurden systematisiert und zeigen Chancen und Grenzen der Übertragbarkeit auf.

Ein zentrales Ergebnis: Die Expertinnen und Experten sehen die Orientierung an der Schriftstruktur als gute Basis für die Alphabetisierung Erwachsener, wenngleich sie sich nur mit einem größeren Fortbildungsaufwand und auf die Zielgruppe zugeschnittenen Materialien der strukturorientierten Vermittlung der deutschen Wortschreibung gewachsen sehen.

Als Schwierigkeit wird vor allem die Passung mit dem BAMF-Curriculum und Gebundenheit an prototypische deutsche Wörter gesehen, da das für die Zielgruppe lebensweltlich relevante Wortmaterial nicht immer mit der Struktureinsicht kombinierbar ist. Hier müssten, so die Forschenden, zukünftig Konzepte und Materialien entwickelt werden, die auf diese spezifische Zielgruppe zugeschnitten sind und den Kursleitungen aufzeigen, wie ein Unterricht aussehen kann, der sowohl relevante Wörter thematisiert als auch Einsicht in die Struktur nativer Wörter ermöglicht.

Kursleitende professionalisieren und unterstützen

Darüber hinaus zeigen schon die Befunde aus dieser kleinen Studie, dass Kursleitende mit linguistischem Vorwissen deutlich bessere Zugänge zu neuen Alphabetisierungskonzepten finden und ihre Relevanz im Hinblick auf die eigenen Kurse fachkundiger einschätzen können. Die Tragweite dieses Ergebnisses wird umso deutlicher, wenn man es mit den bekannten Befunden aus der Lehrerprofessionalisierungsforschung verknüpft, wonach das fachspezifische Wissen von Lehrkräften entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg hat.

Die Wissenschaftler*innen sehen weiteren Forschungsbedarf: Unbedingt anstrebenswert für den Erfolg von Alphabetisierungsmaßnahmen seien nach den Erfahrungen in diesem zeitlich stark begrenzten Forschungsprojekt weitere Erkundungen durch Beobachtung sowie Untersuchung der Bedingungen in einzelnen konkreten Alphabetisierungskursen. Zudem sei die Unterstützung der Lehrkräfte (durch Fortbildung und Materialentwicklung) und durch Interventionsstudien erforderlich, sodass auf dieser Basis konkrete Änderungsvorschläge für das Alphabetisierungscurriculum des BAMF und für die Neukonzeption von Lehrwerken gemacht werden könnten.

Zum Projekt:

Das Forschungsprojekt »Schriftstrukturorientierte Zugänge zur Alphabetisierung erwachsener Zugewanderter aus der Sicht von Lehrkräften« wurde für ein Jahr von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Es wurde verantwortet von Prof. Dr. Anke Grotlüschen und Prof. Dr. Astrid Müller (Projektleitende) sowie Tina Waschewski (Mitarbeitende).

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Anke Grotlüschen
Universität Hamburg
Fakultät für Erziehungswissenschaft
Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen (EW 3)
E-Mail: anke.grotlueschen@uni-hamburg.de

Prof. Dr. Astrid Müller
Universität Hamburg
Fakultät für Erziehungswissenschaft
Didaktik der sprachlichen und ästhetischen Fächer (EW 4)
Tel.: +49 40 42838-6559
E-Mail: astrid.mueller@uni-hamburg.de


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