In der Prekaritätsfalle: Ausländische Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor
Erwerbsarbeit gilt als Motor für gesellschaftliche Teilhabe. Im Niedriglohnsektor, wo sich viele der Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen befinden, sind Partizipationsmöglichkeiten aber oft stark eingeschränkt.
»Dies gilt besonders für ausländische Arbeitskräfte, die im Niedriglohnsektor überrepräsentiert sind. Sie werden oft schlecht bezahlt, haben eine mangelnde soziale Absicherung, ein hohes Arbeitsaufkommen und nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Weiterbildung«, erläutert Dr. Holger Kolb, Leiter des SVR-Forschungsprojekts.
»Ob auf dem Bau, beim Spargelstechen, in der Gastronomie oder bei der Betreuung älterer Menschen: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die deutsche Gesellschaft auf ihre Arbeit angewiesen ist. Dennoch verhindern prekäre Beschäftigungsverhältnisse ihre selbstbestimmte Teilhabe in Deutschland«, so Dr. Kolb weiter.
Vor allem arbeits-, sozial- und aufenthaltsrechtliche Bestimmungen sowie deren praktische Umsetzungen entscheiden über den Umfang der Teilhabemöglichkeiten ausländischer Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor. Hier zeigt die qualitative Interviewstudie des wissenschaftlichen Stabs zahlreiche faktische Hürden auf: »Zum einen konnten wir feststellen, dass die institutionell-behördliche Praxis Teilhabehürden verstärken kann. Die Rechtslage ist häufig so komplex, dass Verfahren verlangsamt oder sogar falsche Entscheidungen getroffen werden. Zum anderen haben wir aber auch festgestellt, dass Arbeitgebende geltendes Recht und Schutzbestimmungen für Arbeitskräfte zum Teil systematisch umgehen«, so Dr. Kolb. Am Beispiel von Baubranche, Fleischindustrie, der häuslichen Betreuung und der Saisonarbeit in der Landwirtschaft legt die Studie dar, wie der Missbrauch bestimmter Beschäftigungsformen und Vertragskonstellationen nicht nur zur Entstehung, sondern auch Verfestigung prekärer Beschäftigungsverhältnisse führen kann.
Besonders die Arbeitsrechte von ausländischen Arbeitskräften, die über Personalagenturen vermittelt wurden oder bei Subunternehmern beschäftigt sind, werden zum Teil systematisch unterlaufen. Weil diese Beschäftigten oft kein Deutsch sprechen, sich mit den geltenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht auskennen und meist kein Netzwerk haben, über das sie Beratung oder Hilfe anfragen könnten, sind sie besonders gefährdet. »Hier beginnt ein Teufelskreis: Die Beschäftigung im Niedriglohnbereich ist für ausländische Arbeitskräfte oft nicht das erhoffte Sprungbrett in einen besseren Job, sondern vielmehr eine Prekaritätsfalle, aus der sie nur schlecht oder gar nicht herauskommen. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sind verschiedene Maßnahmen nötig, die sich je nach Rechtsposition der Beschäftigten unterscheiden können«, sagt Dr. Kolb. Wie die Studie zeigt, bestehen zwischen prekär Beschäftigten aus EU-Mitgliedstaaten und aus Drittstaaten diesbezüglich einige erhebliche Unterschiede.
Der wissenschaftliche Stab hat deshalb Handlungsoptionen entwickelt, mit denen die Teilhabemöglichkeiten für ausländische Arbeitskräfte verbessert werden können. »Es geht dabei nicht so sehr um neue Regelwerke, die für alle gleichermaßen umgesetzt werden müssen. Es kommt auch auf die Ziele an, die ausländische Arbeitskräfte verfolgen. Manche wollen nur für eine kurze Zeit bleiben und Geld verdienen; andere möchten sich in Deutschland ein neues Zuhause aufbauen. Grundsätzlich gilt aber: Alle müssen sich auf die geltenden Regeln zum Arbeitnehmerschutz berufen können – und diese Regeln müssen dazu besser durchgesetzt und kontrolliert werden«, erläutert Dr. Kolb.
Außerdem gelte es, die Verfahren zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen weiter zu vereinheitlichen, die Anforderungen zu standardisieren und Beratungsangebote sowie Mehrsprachigkeit in diesen Verfahren auszubauen. »Der deutsche Arbeitsmarkt ist nach wie vor stark von formalen Qualifikationen geprägt. Das Anerkennungsverfahren – sofern zugänglich – kann deshalb helfen, Prekarität zu verhindern. Mit einem Gleichwertigkeitsnachweis können ausländische Arbeitskräfte einfacher eine ihrer Qualifikation angemessene Beschäftigung finden und gleichzeitig ihre Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgebenden stärken.«
Um die Verfestigung von prekären Beschäftigungsverhältnissen und damit auch Segregation zu verhindern, müssen auch die sozioökonomischen und auslandsspezifischen Verwundbarkeiten der zugewanderten Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor besser berücksichtigt werden. Der Zugang zu Aufenthaltssicherheit von Drittstaatsangehörigen müsste verbessert und ein Wechsel der Arbeitsstelle erleichtert werden. Auch sollte die staatliche Vermittlung ausgebaut und die Kontrolle bestimmter Beschäftigungsverhältnisse verstärkt werden. Vor allem private Vermittlungsagenturen brauchen dabei eine verbindlichere Regulierung.
Zum Projekt
Das Forschungsprojekt »Prekäre Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften und Perspektiven für ihre Teilhabe in Deutschland« wird gefördert durch die Stiftung Mercator. »Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde erneut deutlich, dass eingeschränkte Teilhabe am Arbeitsmarkt negative Auswirkungen auf andere Lebensbereiche haben kann«, fasst Katja Lenz, Projektmanagerin der Stiftung Mercator, zusammen. »Gesellschaftliche Teilhabe ist aber in einer diversen Gesellschaft auch für den Zusammenhalt wichtig. Hier zeigt die Studie, wie auf verschiedene Integrationsrealitäten eingegangen werden kann, um prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu verhindern.«
VERWEISE