Studie zu Bedürfnissen und Nutzungspraktiken gering informationsorientierter junger Menschen
»Verständlicher, nicht so politisch«! Was gering informationsorientierte junge Menschen von Nachrichten erwarten
Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene finden ihre Interessen und Anliegen in den klassischen Nachrichtenmedien nicht wieder. Sie haben nur ein geringes Interesse am aktuellen Weltgeschehen, nutzen kaum Informationsangebote etablierter Medien und werden daher mit journalistischen Angeboten kaum noch erreicht. Sie machen etwa ein Drittel der 14- bis 24-Jährigen aus (Jugendliche im Alter von 14-17 Jahren: 45%, junge Erwachsene im Alter von 18-24 Jahren: 22%).
Stattdessen spielen Angebote in Sozialen Medien eine wichtige Rolle für diese Gruppe junger Menschen. Sie bleiben fast ausschließlich über beiläufige Informationskontakte bei TikTok und YouTube auf dem Laufenden, bevorzugen unterhaltende Inhalte und verfolgen dabei individuelle Interessen, über die sie auch im Freundeskreis sprechen.
Wie ihre Informationsbedürfnisse, Nutzungspraktiken und Einstellungen aussehen, hat das Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg in Gesprächsrunden mit jungen Menschen im Alter von 14 bis 22 Jahren erforscht, die sich kaum für aktuelle Informationen interessieren und mit journalistischen Angeboten nicht erreicht werden: die gering Informationsorientierten.
Geringes Informationsbedürfnis
Jugendliche und junge Erwachsene, die zu den gering Informationsorientierten gehören, haben meist eine niedrige formale Bildung, und für sie spielen etablierte Nachrichtenangebote kaum mehr eine Rolle.
Informationen werden beiläufig, passiv und fast ausschließlich über soziale Medien aufgenommen. Die jungen Menschen sind überwiegend in Gruppen unterwegs, in denen zwar unterschiedliche Meinungen zu einem Thema wertgeschätzt werden, über politische Themen aber selten diskutiert wird.
Allerdings wird über gesellschaftliche Themen wie Diskriminierung, soziale Gerechtigkeit oder Gleichberechtigung in den Freundesgruppen gesprochen. Kritisiert wird an den etablierten Medien vor allem, dass sie keine Berührungspunkte zur Lebenswelt der Jugendlichen aufweisen und keinen Bezug zur eigenen Person und Identität, etwa ihrer Herkunft und Religion, herstellen.
TikTok als Haupt-Informationsquelle
Jugendliche und junge Erwachsene aus der Gruppe der gering Informationsorientierten schätzen unterhaltende Inhalte, die ihre persönlichen Interessen aufgreifen.
Dementsprechend werden Informationen bei TikTok, Instagram und YouTube sowie bei einer aktiven Suche auch bei Google gefunden. Social Media Content Creator wie Herr Anwalt oder Rezo nehmen eine wichtige Rolle als Informationsquelle ein, weil sie das Interesse junger Leute wecken. Zudem genießen sie Vertrauen, da sie nach Ansicht der jungen Menschen die richtigen Themen auf eine neutrale Art mit der entsprechenden unterhaltenden Darstellungsweise behandeln.
Insgesamt schätzen die Befragten neben der Aktualität insbesondere die kurzen und unterhaltenden Inhalte auf TikTok sowie die dort angebotenen unterschiedlichen Perspektiven, die als Grundlage zur Bildung einer eigenen Meinung angesehen werden.
Fake News führen zu weniger Vertrauen in soziale Medien insgesamt
Ein gewisses »Suchtpotenzial« problematisieren die Befragten bei ihrer Nutzung sozialer Medien. Dass überwiegend negativer, »toxischer« Content verbreitet wird und »Fake-Accounts« und »Fake-Inhalte« zunehmen, führt in der befragten Gruppe zu Unsicherheiten und in der Konsequenz zu fehlendem Vertrauen in Inhalte in sozialen Medien allgemein – eine Differenzierung nach Accounttyp bzw. Absender wird dabei nicht getroffen.
Zwar haben die Teilnehmenden teilweise Strategien, wie sie mit Unsicherheiten angesichts zweifelhafter Absender und Inhalte umgehen (meistens eine Google-Suche). Insgesamt ist dies allerdings ein Indiz dafür, dass es in der untersuchten Gruppe große Orientierungsprobleme gibt.
Wenig Wissen über die Rolle und Funktion des Journalismus vorhanden
Die Teilnehmenden der Fokusgruppen wissen sehr wenig über die Rolle der Journalismus für die Verbreitung von Informationen allgemein und darüber, wie die Berufsausbildung erfolgt. Der Begriff »Journalismus« löst bei ihnen überwiegend negative Emotionen wie Desinteresse aus und ruft Assoziationen mit Fake-News und Paparazzi hervor.
An den Nachrichten in klassischen Medien wird kritisiert, dass sie zu viel übertreiben und zu wenig differenziert erklären. Es werde zu viel über bestimmte Themen berichtet, während andere wichtigere Themen nicht erwähnt bzw. verschwiegen werden.
Die eigene alters- und herkunftsbezogene Identität sehen die gering Informationsorientierten als nicht ausreichend repräsentiert. Dies führt zu der Wahrnehmung, dass die eigentlich wichtigen Themen aus den Augen verloren werden. Es werde in den Medien meist eine dominante Perspektive vertreten, während andere nicht zu Wort kommen. Dadurch entstehe Druck, diese Medien-Perspektive zu übernehmen, der wiederum zu Unverständnis führt und zur Wahrnehmung, dass die eigene Meinungsbildung negativ beeinflusst werden soll.
Die befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen finden in den etablierten Medien ein zweifelhaftes Gesamtbild, das weniger aufgrund falscher Fakten als vielmehr aufgrund des Weglassens einzelner Tatsachen, Meinungen und Ereignisse zustande komme. Dies führt zu Vertrauensverlust und zur Abkehr von klassischen Medienangeboten.
Gewünscht wird Verständlichkeit und Begegnung auf Augenhöhe
Nach ihren Wünschen an den Journalismus befragt, nennen die Teilnehmenden: neutrale Darstellungen, Meinungsvielfalt, Verständlichkeit und Begegnung auf Augenhöhe.
Bislang erfüllen soziale Medien wie TikTok diese Kriterien für die Befragten. Entscheidend seien persönliche Berührungspunkte, die Themen müssen die eigene Person und Identität (Religion, Herkunft) oder das engste Familien- und Freundesumfeld betreffen.
HINTERGRUND
Informationen zur Studie
Wie informieren sich die Menschen in Deutschland im digitalen Zeitalter? In dem langfristig angelegten Projekt »UseTheNews – Nachrichtennutzung und Nachrichtenkompetenz im digitalen Zeitalter« erforscht das HBI die Nachrichtenkompetenz insbesondere der Bevölkerung unter 30 Jahren.
Im Fokus der vorliegenden Teilstudie standen junge Menschen, die sich kaum für aktuelle Informationen interessieren und mit journalistischen Angeboten nicht erreicht werden: die gering Informationsorientierten. Sie machen etwa ein Drittel der 14- bis 24-Jjährigen aus (Jugendliche im Alter von 14-17 Jahren: 45%, junge Erwachsene im Alter von 18-24 Jahren: 22%).
Im Sommer 2023 wurden in vier Großstädten in Deutschland Gespräche in zehn Fokusgruppen (n=46) geführt mit solchen Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 14 und 22 Jahren, die sich aufgrund ausgewählter soziodemografischer Merkmale dieser Gruppe zurechnen lassen. Die Fokusgruppen fanden in den Städten Hamburg, Bottrop (Nordrhein-Westfalen), Dresden (Sachsen) und Nürnberg (Bayern) statt.
Die in dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse sind nicht dazu geeignet, verallgemeinernd und allgemeingültig auf alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland übertragen zu werden. Vielmehr geben die Ergebnisse wertvolle Einsichten in eine Teilgruppe junger Menschen, die wenig am aktuellen Weltgeschehen interessiert ist und mit Informationsangeboten etablierter Anbieter kaum erreicht wird.
Studie zum Download
Wunderlich, Leonie; Hölig, Sascha (2023): »Verständlicher, nicht so politisch« – Einblicke in die Bedürfnisse und Nutzungspraktiken gering informationsorientierter junger Menschen. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Oktober 2023 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr.69), https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/90067, ISBN 978-3-87296-183-9 (Open Access, lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz CC BY 4.0).
Die Autorin und der Autor
Leonie Wunderlich, M. A., ist Junior Researcher am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) in Hamburg, Dr. Sascha Hölig ist Senior Researcher am HBI.
Kontakt
Leonie Wunderlich, l.wunderlich@leibniz-hbi.de
Informationen zum Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI)
Das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut erforscht den Medienwandel und die damit verbundenen strukturellen Veränderungen öffentlicher Kommunikation. Medienübergreifend, interdisziplinär und unabhängig verbindet es Grundlagenwissenschaft und Transferforschung und schafft so problemrelevantes Wissen für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Im Jahr 2019 wurde das Institut in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen. Mehr unter https://leibniz-hbi.de/.