Kritischer Konsum wegen Social-Media-Influencer*innen

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5 Jugendliche ohne Kopf

Politische Maßnahmen zum Schutz von Jugendlichen nötig

Ob und wie stark Jugendliche von sogenanntem Influencer-Marketing in sozialen Netzwerken beeinflusst werden, hängt von bestimmten Faktoren ab.

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI hat im Forschungsprojekt FAIR gemeinsam mit Hochschule Darmstadt und Universität Mannheim untersucht, unter welchen Bedingungen sich Jugendliche aufgrund von Influencer-Werbung zum Kauf von Produkten animieren lassen. Kinder und Jugendliche sind demnach einem stetigen Risiko von kritischem Konsum ausgesetzt, welches politische Schutzmaßnahmen dringend nötig macht.

Etwa die Hälfte von mehr als 1000 befragten Jugendlichen hat bereits ein Produkt gekauft, das von einem Influencer oder einer Influencerin beworben wurde. Das ist eines der Ergebnisse einer quantitativen Erhebung im Forschungsprojekt FAIR (Förderung adoleszenter Influencer*innen-Resilienz) von Fraunhofer ISI, Hochschule Darmstadt und Universität Mannheim. Ziel der Untersuchungen war, den Einfluss von Social-Media-Influencer*innen auf das Konsumverhalten von Jugendlichen zu verstehen und Risiko- sowie Schutzfaktoren abzuleiten, um die Resilienz der Heranwachsenden zu fördern.

Denn Jugendliche stellen im digitalen Raum eine besonders exponierte und vulnerable Zielgruppe dar – einerseits wegen ihres intensiven Konsums sozialer Medien, andererseits wegen einer geringer ausgeprägten Werbekompetenz (Advertising Literacy) und ihrer Anfälligkeit im Rahmen sozialer Entwicklungsprozesse. Jugendliche sehen Influencer*innen als Vorbilder, die ihnen vorleben, was man anzieht, isst oder trinkt, um sozialen Anschluss zu erhalten.

Ein Viertel der Jugendlichen erlebt mindestens regelmäßig negative Reaktionen auf Influencer*innen-Marketing

Die Forschenden haben 24 Jugendliche in qualitativen Interviews sowie weitere 1007 Jugendliche mit einem Fragebogen zu ihrer Social-Media-Nutzung und ihrem Kaufverhalten befragt. Außerdem wurde erhoben, in welchem Ausmaß die Jugendlichen eine parasoziale Beziehung, also freundschaftliche Gefühle, gegenüber ihren Lieblingsinfluencer*innen haben und ob sie Produktwerbung als solche erkennen. Zusätzlich wurde ermittelt, welche Reaktionen die Präsentation von Produkten in den Beiträgen der Lieblingsinfluencer*innen bei den Jugendlichen auslösen. Ein besonderer Fokus lag hier auf sogenannten maladaptiven Reaktionen, also zum Beispiel Impulskäufen, zwanghaftem Kaufverhalten, sozialen Konflikten oder dem Bereuen eines Kaufs.

Die interviewten Jugendliche gaben an, sich besonders zu Beginn ihres Social-Media-Konsums im Alter von 13–14 Jahren sehr beeinflusst gefühlt zu haben. Influencer-Marketing birgt insbesondere auf Instagram, TikTok und YouTube, vor allem in sogenannten Storys, ein höheres Risiko für maladaptive Reaktionen. Weibliche Jugendliche gaben an, die Inhalte ihrer Lieblingsinfluencer*innen vor allem auf Instagram und TikTok zu konsumieren, während YouTube bei männlichen Befragten relevanter war.

Mehr als die Hälfte der befragten Jugendlichen hatte innerhalb der vergangenen sechs Monate bis zu 50 Euro für Produkte ausgegeben, die von (Lieblings-) Influencer*innen beworben worden waren. Gesamtausgaben von mehr als 100 Euro traten bei Produkten der Lieblingsinfluencer*innen häufiger auf (15,5 Prozent) als bei Produkten anderer Influencer*innen (7,4 Prozent).

Ein substanzieller Anteil der befragten Jugendlichen (10,7 Prozent) gab an, regelmäßig Kaufimpulse oder Intrusionen zu erleben, also sich immer wieder aufdrängende Gedanken rund um ein Produkt. 10,3 Prozent der Jugendlichen gaben an, oft den unwiderstehlichen Drang zu verspüren, ein Produkt zu besitzen, das sie bei ihren Lieblingsinfluencer*innen gesehen hatten. Vier Prozent sagten, dies sei immer der Fall.

Risikofakturen für negative Reaktionen Jugendlicher auf Influencer-Marketing

Die Forschenden konnten belegen, dass Jugendliche anfälliger für negative Reaktionen sind, wenn sie starke parasoziale Beziehungen zu Influencer*innen, einen starken Wunsch zur Nachahmung oder materialistische Wertvorstellungen haben. Diese Vulnerabilitätsfaktoren auf Seiten der Jugendlichen machen jeweils zumindest eine der untersuchten maladaptiven Reaktionen wahrscheinlicher. Im Gegensatz dazu schwächen Werbekompetenz, Selbstkontrollfähigkeit und ein höheres Alter jeweils zumindest eine der untersuchten negativen Reaktionen ab.

Insofern können Advertising Literacy und Selbstkontrollfähigkeit Jugendliche vor negativen Reaktionen auf Influencer-Marketing schützen. Infolge der Erhebungen wurde im Rahmen des FAIR-Projekts ein Handbuch (Manual) entwickelt, um die Resilienz von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Das Manual richtet sich an Lehrkräfte oder Mitarbeitende der Schulsozialarbeit mit der Zielgruppe der 14- bis 18-Jährigen und enthält zahlreiche Interventionen, die die Reflexionsfähigkeit und die Medienkompetenz von Jugendlichen fördern.

»Die Ergebnisse unseres Projektes belegen eine eindeutige Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen, die besonders gefährdet sind für Fehlkonsum in den sozialen Medien«, sagt Dr. Pia Niessen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer ISI. »Um Kinder und Jugendliche zu schützen, bedarf es politischer Maßnahmen und einer breiten Aufklärung und Sensibilisierung von Jugendlichen, Eltern und Fachpersonen.«

Überprüfung der Kennzeichnungspflicht für unbezahlte Empfehlungen gefordert

Die Autor*innen der FAIR-Studie haben fünf Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert, um den Schutz und die Resilienz von Jugendlichen in Deutschland hinsichtlich Influencer-Marketing zu verbessern. Dazu zählt auch eine Anpassung der Rechtslage: »Die bestehende Regulatorik zur Kennzeichnung von Werbung schützt Kinder und Jugendliche nicht. Sie werden der Werbung ohne Kennzeichnung ausgeliefert«, so Dr. Pia Niessen.

Gemäß des 2021 beschlossenen »Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht« (GSVWG) zählen Empfehlungen ohne Gegenleistung nicht als Werbung und müssen in sozialen Netzwerken nicht gekennzeichnet werden. »Das bedeutet, dass mit Wegfall der Kennzeichnung ein Stellhebel für die Aufklärung und Förderung von Advertising Literacy fehlt«, erklärt Niessen. »Aus Sicht des Kinderschutzes ist dies nicht tragbar und führt zu einem Rückgang an dringend benötigter Medienkompetenz. Unsere Empfehlung lautet daher, die gesetzliche Regelung zu prüfen und die Notwendigkeit des Kinderschutzes dabei zu priorisieren.«

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin
Dr. Pia Niessen
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Telefon +49 721 68 09- 572
E-Mail pia.niessen@isi.fraunhofer.de


  VERWEISE  

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