Landesregierungen und politische Bildung: Ein historischer Überblick
Der Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Regierungskonstellationen in den Ländern und politischer Bildung in der Schule
Die Studie des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) liefert wichtige Erkenntnisse über die Bedeutung der Zusammensetzung von Landesregierungen auf die Unterrichtszeit für politische Bildung an Schulen.
Diese über mehrere Jahrzehnte nachvollziehbare Korrelation verdeutlicht die signifikante Einflussnahme politischer Ideologien auf die Bildungspolitik. Die Studie konzentriert sich auf den Zeitraum von 1949 bis 2019 (mit Schwerpunkt auf die 1970er bis zu den 1990er Jahre) und bietet eine detaillierte Analyse der Bildungspolitik in verschiedenen deutschen Bundesländern.
Hauptergebnisse der Studie
Die Autoren der Studie arbeiten heraus, dass die Zusammensetzung der Landesregierungen einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des Politikunterrichts hatte. Insbesondere in SPD-regierten Ländern wurde der politischen Bildung mehr Zeit im Lehrplan eingeräumt als in CDU-regierten Ländern.
Dies deutet darauf hin, dass Linksregierungen tendenziell eine intensivere Auseinandersetzung mit politischen Themen in der schulischen Bildung fördern, während konservative Regierungen diesem Thema weniger Bedeutung beimessen.
Ein weiterer bemerkenswerter Befund ist die unterschiedliche Verteilung der politischen Bildung auf die verschiedenen Schultypen. Nicht-gymnasiale Schulen erhalten häufiger mehr Politikunterricht als Gymnasien.
Dies könnte darauf hindeuten, dass in diesen Schulformen ein stärkerer Bedarf an politischer Bildung gesehen wurde, möglicherweise um soziale Ungleichheiten auszugleichen oder um Schüler*innen ohne akademischen Hintergrund besser auf politische Partizipation vorzubereiten.
Regionale Disparitäten des Politikunterrichts
Die vorgelegten Analysen zeigen einen deutlichen Bedeutungszuwachs des Politikunterrichts seit den 1970er Jahren, der sich in einer annähernden Verdoppelung der Unterrichtszeit in diesem Fach in allen Bundesländern und Schulformen bis in die 1990er Jahre manifestiert.
Dabei werden erhebliche regionale Unterschiede deutlich. Ein markantes Beispiel ist Nordrhein-Westfalen, wo das Fach Politik um die Jahrtausendwende mit 7 Wochenstunden unterrichtet wurde, was einer durchschnittlichen wöchentlichen Unterrichtszeit von etwa 1,2 Stunden pro Schuljahr entspricht. In Bayern und Sachsen betrug die Unterrichtszeit im gleichen Zeitraum dagegen nur 2 Wochenstunden, was etwa 0,3 Stunden pro Schuljahr entspricht.
Auch in der jüngeren Vergangenheit sind weiterhin länderspezifische Entwicklungen im Politikunterricht zu beobachten. So wurde in Hessen die wöchentliche Unterrichtszeit seit den 1990er Jahren bis in die 2010er Jahre hinein drastisch von 7 auf 3 Wochenstunden reduziert. Demgegenüber verzeichnete Schleswig-Holstein im gleichen Zeitraum einen deutlichen Anstieg der Wochenstundenzahl im Fach Politik von rund einer auf knapp fünf Wochenstunden.
Methodik und Analyse
Die Untersuchung nutzt umfangreiche Daten aus verschiedenen Bundesländern und Schulformen, um eine solide Basis für ihre Schlussfolgerungen zu schaffen. Der methodische Ansatz ist überzeugend, da er sowohl historische als auch politische Aspekte berücksichtigt, um den Einfluss der Landesregierungen auf die Bildungspolitik zu bewerten.
Die Ergebnisse bieten wertvolle Einblicke in historische Zusammenhänge und legen nahe, dass politische Bildung stark von den jeweils herrschenden politischen Kräften beeinflusst wird.
Bedeutung und Implikationen
Die Studie hat wichtige Implikationen für die aktuelle Bildungspolitik. Sie zeigt, wie stark politische Ideologien in die Ausgestaltung von Lehrplänen eingreifen und welche langfristigen Auswirkungen dies auf die politische Bildung von Schüler*innen haben kann.
Angesichts der zunehmenden politischen Polarisierung und der wachsenden Bedeutung von Medienkompetenz und politischem Bewusstsein in der heutigen Gesellschaft ist dieser Befund von besonderer Relevanz.
Die Ergebnisse legen nahe, dass eine ausgewogene und umfassende politische Bildung in allen Schulformen notwendig ist, um sicherzustellen, dass alle Schüler*innen die gleichen Chancen auf politische Teilhabe und Bildung erhalten.
Dies könnte auch als Grundlage für zukünftige politische Diskussionen und Reformen dienen, um politische Bildung unabhängig von Regierungswechseln zu gestalten und zu stärken.
Zusammenfassung
Die Studie des LIfBi ist ein wichtiger Beitrag zur Bildungsforschung und bietet interessante Einblicke in den Zusammenhang von politischer Führung und Bildungspolitik.
Sie zeigt auf, wie eng politische Ideologien und die Gestaltung von Lehrplänen miteinander verwoben sind und wie diese Dynamik Schüler*innen über Jahrzehnte beeinflusst hat. Angesichts der Bedeutung politischer Bildung in der Gegenwartt liefern die Ergebnisse wertvolle Impulse für zukünftige Bildungsreformen.
Hintergrund
Die Studie geht zurück auf das von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten und am ifo-Institut sowie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) angesiedelte Projekt »Effizienz und Chancengleichheit in der Bildung: Quasi-experimentelle Evidenz von Schulreformen der Bundesländer (EffEE)« (Projektzeitraum: 2019 bis 2022).
Die Studie wurde in Folge eines Institutswechsels der Studienautor*innen am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) fertiggestellt. Während der Umsetzung wurden die Autor*innen maßgeblich sowohl vom WZB als auch vom LIfBi unterstützt. Die Studie und die hier veröffentlichten Daten sind damit auch Ausdruck einer Kooperation von WZB und LIfBi.
Zum Datensatz
Auf Basis von Stundentafeln wurde für den Zeitraum von 1949 bis 2019 erfasst, ob und wie viel Unterrichtszeit in politischer Bildung in allen Bundesländern in verschiedenen Schulformen in der Sekundarstufe I vorgesehen waren.
Die Stundentafeln stammen aus verschiedenen Rechtsgrundlagen. Die schulrechtlichen Grundlagen wurden vom Online-Archiv »Makrolog-Recht für Deutschland«, – seinem Rechtsnachfolger – dem Online-Portal »juris.de«, der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung in Berlin und weiteren Bibliotheken bezogen.
Die Stundentafeldaten wurden im Rahmen von drei Datensätzen (Rohdatensatz, Schuljahresdatensatz, Jahrgangsdatensatz) dokumentiert und aufbereitet.