Langzeitstudie belegt: Gesellschaftliche Narrative beeinflussen Studienleistungen
Stärken von sozioökonomisch benachteiligten Studierenden anerkennen bringt bessere Noten
Eine neue Studie unter der Leitung der Psychologin Christina Bauer von der Universität Wien zeigt, wie stark soziale Narrative das Selbstbild und die akademische Leistung von Studierenden beeinflussen können.
In ihrem Forschungsprojekt, das kürzlich in der Fachzeitschrift Social Psychological and Personality Science veröffentlicht wurde, zeigt sie gemeinsam mit einem internationalen Team, dass die Betonung der Stärken von sozioökonomisch benachteiligten Studierenden nicht nur deren Selbstwertgefühl stärkt, sondern auch zu besseren Studienleistungen führt.
Umkehrung des Defizitnarrativs
Die Studie konzentrierte sich auf Studierende aus sozioökonomisch benachteiligten Schichten, die im Bildungsbereich häufig als »sozial benachteiligt« wahrgenommen werden. Bauer und ihr Team wollten jedoch die Aufmerksamkeit auf die Stärken dieser Gruppe lenken, die oft übersehen werden.
Menschen aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen, insbesondere Studierende ohne akademischen Hintergrund in der Familie, zeigen oft bemerkenswerte Fähigkeiten wie Durchhaltevermögen und Problemlösungskompetenz, um Studium und Beruf unter schwierigen Bedingungen zu bewältigen. Diese Stärken werden jedoch häufig übersehen, wenn über diese Gruppe gesprochen wird.
Bauer betont, dass das verbreitete Narrativ, das sozial Benachteiligte als schwach darstellt, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schwächt. Deshalb entwickelten sie und ihre Kolleg*innen von der Universität Wien, der Stanford University und der Northwestern University einen Text, der die positiven Eigenschaften von benachteiligten Personen hervorhebt.
Indem sie diesen Text einer Gruppe von US-Studierenden aus schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen vorlegten, konnten die Forscher*innen eine Veränderung im Selbstbild der Teilnehmer*innen beobachten. Die Studierenden wurden dazu angeregt, über ihre eigenen Stärken nachzudenken, die sie im Laufe ihres Lebens entwickelt haben. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe führte dies zu einem höheren Selbstwertgefühl.
Langfristige Effekte auf Studienleistungen
In einem weiteren Langzeitexperiment an einer US-amerikanischen Universität konnte das Forscherteam feststellen, dass sich die gestärkte Selbstwahrnehmung auch langfristig auf die Studienleistungen auswirkt. Über ein ganzes Semester hinweg erzielten die Studierenden, die ihre Stärken reflektierten, signifikant bessere Noten als die Kontrollgruppe. Dies zeigt, wie stark sich ein positives Selbstbild auf die akademische Leistung auswirken kann.
Ähnliche Ergebnisse in Europa
Ähnliche Studien führten Bauer und ihr Team auch mit deutschen und österreichischen Studierenden durch. Die Herausforderungen, mit denen benachteiligte Studierende in den USA und Europa konfrontiert sind, unterscheiden sich zwar teilweise, aber die stigmatisierenden Narrative, die diese Gruppe als schwach darstellen, sind ähnlich, so Bauer.
Auch in diesen Studien habe sich gezeigt, dass sich die Anerkennung der eigenen Stärken positiv auf das Selbstvertrauen und die Studienleistungen auswirke.
Gesellschaftliche Narrative überdenken
Bauer rief dazu auf, das Narrativ, das benachteiligte Menschen als schwach darstellt, zu überdenken. Sie betont, dass diese Menschen keineswegs schwach sind, sondern oft große Stärke im Umgang mit schwierigen Lebensbedingungen zeigen.
Stigmatisierende Narrative könnten jedoch zu einer weiteren Benachteiligung dieser Menschen führen. Gleichzeitig würde von den eigentlichen Problemen der Sozialsysteme abgelenkt, die nicht in der Lage seien, adäquate Unterstützung zu leisten. Stattdessen sollten die Stärken dieser Menschen anerkannt und die Defizite des Sozialsystems klar benannt werden.
Wissenschaftliche Ansprechpartnerin
Dr. Christina Bauer
Institut für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpsychologie
Universität Wien
1010 Wien, Renngasse 6-8
T +43-1-4277-47322
christina.bauer@univie.ac.at
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