Es gibt keine Anzeichen für eine Über-Akademisierung
Von unterschiedlichen Seiten wird immer wieder einmal gegen einen sog. »Akademisierungswahn« polemisiert. Sei es, weil in einzelnen Branchen Ausbildungsplatzbewerber fehlen oder auch, weil dem ein oder anderen die bildungspolitischen Implikationen breiterer Bildung nicht passen. Dem hielt kürzlich IAB-Direktor Joachim Möller entgegen, dass »Akademiker (..) in den letzten Jahrzehnten ganz klar zu den Gewinnern am Arbeitsmarkt« zählten.
Der Anteil der Akademiker an den Erwerbstätigen hat sich seit 1991 von zwölf auf 21 Prozent erhöht. Auch die Analyse des Arbeitslosigkeitsrisikos nach Qualifikation weist Akademiker als Gewinner am Arbeitsmarkt aus: Im Jahr 2015 betrug die Arbeitslosenquote von Akademikern 2,4 Prozent. Die Arbeitslosenquote für alle Beschäftigten lag dagegen bei 6,6 Prozent, für Ungelernte bei 20,3 Prozent.
Dasselbe Bild liefert ein Vergleich der Brutto-Verdienste von Beschäftigten. Während Akademiker über ihr Erwerbsleben hinweg durchschnittlich fast 2,4 Millionen Euro verdienen, erreichen Absolventen einer beruflichen Ausbildung im Mittel etwa 1,5 Millionen Euro. Ohne abgeschlossene Berufsausbildung erzielen Beschäftigte im Durchschnitt ein Brutto-Lebensentgelt von 1,2 Millionen Euro.
»Wir sehen auch im Zeitverlauf keine Entwertung von höheren Bildungsabschlüssen«, betonte Möller. Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend zur Höherqualifizierung am Arbeitsmarkt sei bisher ungebrochen, und Entwicklungen wie die Digitalisierung würden das eher verstärken. »So wichtig natürlich auch der Nachwuchs in den dualen Ausbildungsberufen für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist: es gibt keinen Grund, generell vor der Aufnahme eines Studiums zu warnen«., sagte Möller.
IAB-Vizedirektor Ulrich Walwei erläuterte, dass entgegen der öffentlichen Wahrnehmung die Bedeutung des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses - Vollzeit, unbefristet, außerhalb der Zeitarbeit - seit Anfang des letzten Jahrzehnts nicht weiter zurückgegangen sei. Der zuvor starke Zuwachs atypischer Beschäftigungsverhältnisse – Teilzeit oder befristet oder Zeitarbeit - habe mehr Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet, aber nicht das Normalarbeitsverhältnis verdrängt.
Walwei zufolge ist weder ein traditionelles Normalarbeitsverhältnis noch ein atypisches Beschäftigungsverhältnis automatisch als gut oder schlecht zu bewerten. Denn selbst tariflich entlohnte und unbefristete Vollzeitbeschäftigte seien manchmal Geringverdiener. Bei schwieriger wirtschaftlicher Lage eines Unternehmens könne auch ein unbefristet Beschäftigter ein vergleichsweise hohes Kündigungsrisiko haben. Eine befristete Stelle mit einer guten Übernahmechance könne hingegen perspektivisch durchaus Stabilität bieten. Von entscheidender Bedeutung sei, ob die Möglichkeit bestehe, aus schlechter bezahlten oder auch unsicheren Arbeitsverhältnissen in besser bezahlte und stabilere Stellen zu wechseln. »Wenn es uns gelingt, das häufiger als bisher zu ermöglichen, wäre viel gewonnen«, unterstrich Walwei die Bedeutung der Aufwärtsmobilität.