Erwerbs- und Sorgearbeit in Deutschland: Wunsch und Realität
Steuer- und Transfersystem: Ursache für ungleiche Arbeitsteilung bei Eltern
Bei der Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Eltern klaffen in Deutschland Idealvorstellungen und Realität weit auseinander.
Eine gemeinsame Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) beleuchtet die Gründe und Auswirkungen dieser Diskrepanz anhand der Daten des FReDA-Familiendemografiepanels.
Unterschiedliche Erwerbsmuster in Ost- und Westdeutschland
Die Studie macht deutlich, dass in Westdeutschland das Zuverdienermodell besonders verbreitet ist. Bei diesem Modell arbeitet der Vater Vollzeit, während die Mutter Teilzeit oder geringfügig beschäftigt ist.
Über 60 Prozent der westdeutschen Paare mit Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter leben nach diesem Modell. In Ostdeutschland ist dieses Modell dagegen weniger verbreitet. Hier sind häufiger beide Elternteile Vollzeit erwerbstätig. Mehr als 40 Prozent der ostdeutschen Paare mit Kindern ab drei Jahren leben nach dem universellen Erwerbsmodell, bei dem beide Elternteile Vollzeit arbeiten.
Ideal vs. gelebte Realität
Trotz der weit verbreiteten Praxis des Zuverdienermodells in Westdeutschland zeigt die Studie, dass viele junge Familien dieses Modell nicht als ideal empfinden.
Eine Befragung im Väterreport 2023 ergab, dass sich etwa die Hälfte der Väter die Kinderbetreuung am liebsten gleichberechtigt mit der Mutter teilen würde. In der Realität ist dies jedoch nur bei 21 Prozent der Familien der Fall.
Diese Diskrepanz spiegelt sich auch in den FReDA-Daten wider: Während in Westdeutschland 63 Prozent der Paare mit Kindern im Grundschulalter nach dem Zuverdienermodell leben, halten nur 42 Prozent dieses Modell für ideal.
Einfluss des Steuer- und Transfersystems
Ein wesentlicher Grund für die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegt im deutschen Steuer- und Transfersystem.
Finanzielle Anreize durch das Ehegattensplitting, die steuerliche Behandlung von Minijobs und die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartner*innen in der gesetzlichen Krankenversicherung fördern das Zuverdienermodell. Diese Regelungen machen es finanziell attraktiver, wenn ein Elternteil (meist die Mutter) nur in Teilzeit oder geringfügig erwerbstätig ist.
Zudem trägt der hohe Gender Pay Gap in Deutschland dazu bei, dass Männer durchschnittlich 18 Prozent mehr verdienen als Frauen. Dies verstärkt die Tendenz, dass Männer Vollzeit und Frauen Teilzeit arbeiten.
Reformbedarf
Um eine gerechtere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zu fördern, empfiehlt die Studie umfassende Reformen im Steuer- und Transfersystem. Eine Modernisierung des Ehegattensplittings hin zu einem Realsplitting mit Transferzahlung, die Abschaffung von Minijobs für Personen im Haupterwerbsalter und der Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur sind zentrale Maßnahmen.
Diese Reformen könnten die finanziellen Anreize für das Zuverdienermodell reduzieren und eine egalitärere Arbeitsteilung attraktiver machen.
Zusammenfassung
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die gesellschaftlichen Normen zur Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwar zunehmend egalitärer werden, die gelebte Realität jedoch hinterherhinkt.
Strukturelle Reformen im Steuer- und Transfersystem sowie ein besseres Angebot an Kinderbetreuungsplätzen sind notwendig, um die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu verringern. Nur so kann eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit und ein Abbau der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt erreicht werden.