Resilienz: Wie Unternehmen ihre Mitarbeitenden stärken können
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Patrick Brigger (Schweiz).
Die Fähigkeit, sich von Rückschlägen schnell zu erholen, ist im Berufsalltag nicht nur nützlich, sondern dringend erforderlich
Der Begriff »Resilienz«, also (psychische) Widerstandsfähigkeit, ist deshalb nicht erst seit Beginn der Coronakrise in aller Munde. Vor allem für HR-Abteilungen lohnt sich ein genauerer Blick auf dieses Thema. Denn durch Homeoffice, Homeschooling, Lockdown und allgemeine Arbeitsbelastungen hat sich für viele Menschen der Stresslevel stark erhöht – was im Extremfall zum Burnout führen kann. Nach einer Studie von Statista steigt seit den frühen 2000ern die Anzahl der krankheitsbedingten Ausfälle stetig an. Dazu zählen in erheblichem Umfang auch Ausfälle durch psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Arbeitgeber sind daher mehr denn je gefordert, ihre Angestellten zu unterstützen, damit diese nicht nur Herausforderungen meistern können, sondern auch gestärkt aus diesen hervorgehen.
Ein Hauptfaktor unserer Resilienz ist die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Selbst unter Belastung sollte man das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren. Doch der hektische Unternehmensalltag hindert Mitarbeitende oft daran, sich auf bestimmte Aufgaben zu fokussieren und diese systematisch zu erledigen. Das hat schwerwiegende Konsequenzen für die Produktivität. Denn der menschliche Verstand arbeitet sequenziell. Unser Gehirn ist strukturiert, eine Sache nach der anderen zu erledigen. Ein Kontext- und Fokuswechsel zwischen verschiedenen Aktionen erfordert große kognitive Anstrengungen. Manche Experten gehen davon aus, dass nach einem Kontextwechsel bis zu 20 Minuten verstreichen können, bis die volle Konzentrationsfähigkeit wieder erreicht ist. Mehrere E-Mails parallel lesen und bearbeiten, von einer unerledigten Aufgabe zur anderen springen und Arbeitsunterbrechungen durch mehrere Meetings am Tag: Dies alles (über)fordert unseren Verstand immens. Wenn ein Arbeitnehmer sich unter solchen Umständen nicht mehr konzentrieren kann, ist das also nicht sehr überraschend. Um solche Probleme zu vermeiden, teilt beispielsweise der Unternehmer Elon Musk seinen Tag streng in 5-Minuten-Sequenzen auf – eine Praxis, die jedoch für die meisten kaum realisierbar sein wird. Doch welche Maßnahmen können HR-Abteilungen ergreifen, um die Konzentrationsfähigkeit ihrer Mitarbeiter strukturell zu fördern?
Unternehmensstrukturen für bessere Konzentration
In den letzten Jahren gab es die Tendenz, Zeit- und Arbeitseinteilung vollkommen der Autonomie der Angestellten zu überlassen. Dieser oberflächliche Gewinn an Freiheit führt jedoch in vielen Fällen zu einer unproduktiven Zerfaserung des Arbeitstages. Hier mal fünfzehn Minuten E-Mails beantworten, dann ein halbstündiges Meeting in Zoom und schließlich kommt eine wichtige Anfrage des Chefs, die sofort beantwortet werden muss: Diese häufigen Kontextwechsel haben schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit und die Leistung von Beschäftigten. Unternehmen sollten also weg vom extremen Autonomiedenken und stattdessen in Absprache mit den Arbeitskräften feste Konzentrationsphasen einrichten. Das bedeutet: Innerhalb dieser Phasen gibt es keine Meetings, keine Erwartung, dass Teammitglieder erreichbar sein müssen, und keine langgezogenen Mitarbeitergespräche am Kaffeeautomaten. Stattdessen können sich Mitarbeitende in dieser festgelegten Zeitspanne voll und ganz auf den derzeitigen Task konzentrieren. Das Software-Unternehmen SAP arbeitet beispielsweise an der Einrichtung eines sogenannten Focus Friday: Ein Tag ganz ohne Zoom-Konferenzen und Telefonschaltungen.
Eine »always-on-Mentalität« darf sich weder vor Ort in den Abteilungen noch im Homeoffice durchsetzen. Es sollte durchaus erlaubt und erwünscht sein, im Kalender Fokuszeiten zu reservieren. Unternehmen sollten ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen aktiven und Ruhephasen nicht nur ermöglichen und fördern, sondern auch vorleben. Darum sollten vor allem Führungskräfte mittragen, dass nicht jede E-Mail immer sofort beantwortet werden muss. Nur so können Angestellte auch nach den Bürozeiten wirklich abschalten, was für die psychische und körperliche Gesundheit enorm wichtig ist.
»Work-Life-Balance« und Wohlbefinden
Der Spruch »mens sana in corpore sano« galt nicht nur im alten Rom, sondern zeigt sich auch im modernen Unternehmensalltag als wichtige Führungsweisheit. Unternehmen stehen in der Verpflichtung, eine feste Trennung von Arbeitszeit und Freizeit durchzusetzen. Eine gesunde Work-Life-Balance ist essenziell für stabile und widerstandsfähige Mitarbeitende. Nicht abschalten zu können schadet auf lange Sicht der Psyche und Gesundheit. Burnout, ständige Müdigkeit und Unkonzentriertheit sind die Folgen. Im Extremfall kann es dabei zu Krankheitsausfällen und sogar zu permanenter Arbeitsunfähigkeit kommen. Wer sich ständig ausgelaugt und müde fühlt, kann auch keine Resilienz aufbauen.
Um der Erschöpfung entgegenzuwirken, müssen Beschäftigte ihre Batterien immer wieder bewusst aufladen. Schlaf und Bewegung sind hierfür wahre Wundermittel. Beides fördert die Kreativität, lädt das Immunsystem wieder auf, reduziert Stress und beugt Krankheiten vor. Zudem stärkt eine bessere körperliche Verfassung auch den Geist. Krisen zu bewältigen heißt eben auch häufig: durchhalten.
Ein gut etabliertes Netzwerk kann ebenfalls zu einem essenziellen Faktor werden, um Krisen und Herausforderungen zu meistern. Wer sich mit gleichgesinnten Menschen umgibt und sich regelmäßig mit ihnen austauscht, kommt besser durch schwere Zeiten. Untersuchungen haben ergeben, dass die glücklichsten Menschen etwa sechs Stunden pro Tag im Austausch mit anderen stehen. Das wirkt sich auch positiv auf die körperliche Gesundheit aus. Unternehmen sollten also Gelegenheiten schaffen für einen sinnvollen und regen Austausch und Kontakt unter Teammitgliedern.
Krisenunterstützung für Mitarbeitende planen
Die Resilienz eines Mitarbeitenden ist nicht nur in persönlichen Stresssituationen herausgefordert, auch unternehmensweite Krisen, die das Potenzial haben, sich auf alle Mitarbeitenden auszuwirken, stellen eine enorme psychische Belastung dar. Um von solchen Situationen nicht unvorbereitet überrollt zu werden, und um die Angestellten so gut wie möglich zu unterstützen, sollten Unternehmen deshalb schon vorher genau festlegen, welche Szenarien als Unternehmens-Krise definiert sind und die Belegschaft in Mitleidenschaft ziehen können. Zudem ist es ratsam, einen festen Stab von Krisenbeauftragten zu bilden, der regelmäßig den Krisenfall übt. Somit können Notfallroutinen etabliert und das Sicherheitsbedürfnis von Angestellten besser erfüllt werden. Die Angestellten wissen dann im Ernstfall sofort, wann und wo sie um Unterstützung bitten können. Auch hier können Unternehmen einiges leisten, um die Resilienz ihrer Belegschaft im Ernstfall zu stärken.
Resilienz kann man lernen!
Oft wird angenommen, Resilienz wäre eine reine Typsache. Manche Menschen »vertrügen« eben mehr als andere. Und zu einem gewissen Grad stimmt das auch: Nicht jeder verarbeitet Herausforderungen, Stress und Rückschläge gleich gut. Unabhängig davon kann jedoch jeder lernen, resilienter zu werden.
Wie der Mensch mit Herausforderungen umgeht, ist vor allem durch das individuelle Mindset bestimmt. Es geht dabei nicht um das Ereignis selbst, sondern darum, wie es wahrgenommen wird. Das bedeutet, dass jeder eine gewisse Kontrolle darüber hat, wie er reagiert und mit bestimmten Ereignissen umgeht. Positiv denken und aus dem Scheitern die richtigen Schlüsse zu ziehen hilft. Wenn etwas nicht funktioniert, kann man entweder resignieren und »das Scheitern« mit sich herumtragen oder daraus lernen und versuchen, es in Zukunft besser zu machen. Positiv denken heißt nicht, blind optimistisch durchs Leben zu gehen und Negatives auszublenden. Es geht darum, keine Schuldigen zu suchen und nicht konstant über Dinge nachzugrübeln, die man selbst nicht beeinflussen kann. Wer sich auf die Dinge fokussiert, die er beeinflussen kann und Stress eher als Antrieb und nicht als etwas Lähmendes nutzt, der kann schon aus kleinen »Siegen« Selbstvertrauen ziehen.
Rückschläge lauern überall, egal ob im beruflichen oder privaten Bereich. Wichtig ist nicht, immer Erfolg zu haben, sondern sich von Misserfolgen nicht aufhalten zu lassen. Dafür muss man jedoch Fehler machen dürfen. Hier sind Unternehmen gefragt, eine passende, tolerante Unternehmenskultur zu etablieren und ihrer Belegschaft Raum zu geben, Resilienz zu entwickeln.
Was können Angestellte selbst tun?
Um langfristig psychisch stabil zu bleiben, sind für Angestellte vor allem zwei Fähigkeiten wichtig: Sie müssen sich fokussieren und abschalten können. Gelingt es ihnen, diese Fähigkeiten zu trainieren, können sie auch stressige Phasen besser überstehen. Im Unternehmensalltag gibt es zahlreiche mögliche Maßnahmen, um diese Skills zu fördern. Oftmals hilft es für eine bessere Konzentration schon, den Informations-Overkill zumindest für eine Weile zu ignorieren. Das Handy ausschalten, E-Mails nur zu festgelegten Zeitpunkten checken und sich in Erinnerung rufen, dass sich manche Probleme auch ohne direktes Zutun klären. Um Rückschläge mental besser zu verarbeiten, sollte man diese als Lernmöglichkeiten für die Zukunft begreifen. Darüber hinaus ist es wichtig, das eigene Zielbewusstsein kontinuierlich zu stärken, denn nur mit fest definierten und erreichbaren Zielen im Kopf hat man die Kraft und Motivation, Herausforderungen positiv anzugehen.
Neue Arbeitsmodelle als Chance begreifen
Flexible Arbeitszeitmodelle sind in den letzten Jahren viel diskutiert worden und einige innovative Unternehmen haben sie bereits getestet. Neue Arbeitsmodelle gelten vor allem für Beschäftigte als vorteilhaft, da diese ihre Familie und Freizeit besser mit ihrem Beruf vereinbaren können. Mittlerweile belegen Studien auch die positiven Effekte moderner Modelle auf die körperliche und psychische Gesundheit. Zahlreiche Unternehmen hingegen sträuben sich noch gegen die Einführung alternativer Konzepte. Erfahrungsberichte zeigen jedoch, dass es auch für Betriebe von Vorteil sein kann, wenn sie ihrer Belegschaft entgegenkommen: Wie etwa der Fall eines australischen Unternehmens, das nach Einführung der Vier-Tage-Woche seinen Umsatz verdreifachen konnte. Natürlich können nicht alle Branchen gleichermaßen von einem flexibleren und reduzierten Arbeitszeitmodell profitieren, doch sollte jedes Unternehmen zumindest über mögliche Maßnahmen in diesem Bereich nachdenken. Alles was dazu dient, Psyche und Gesundheit des Arbeitnehmers zu fördern, dient letztlich auch der Firma.
Patrick Brigger ist Mitgründer und COO des Schweizer Online-Wissensanbieters getAbstract, der Wissenschaftsbücher und Klassiker der Weltliteratur zusammenfasst. Der Spezialist für Zusammenfassungen bietet unter anderem ein Abstract von Cal Newports »Konzentriert arbeiten« an.
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