TechnikRadar: Was die Deutschen über Technik denken
Die Deutschen wollen bei umstrittener Technik mitbestimmen
In Deutschland sind 89,5 Prozent der Bevölkerung davon überzeugt, dass sich der technische Fortschritt nicht aufhalten lässt. 60,2 Prozent gehen davon aus, dass mit der Entwicklung zunehmend Zwänge für den einzelnen entstehen. Das zeigt das »TechnikRadar 2018«, die wissenschaftliche Auswertung einer repräsentativen Befragung von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Körber-Stiftung, die heute in Berlin erstmals präsentiert wird. Wenngleich der Wandel nach Meinung fast aller Deutschen nicht gestoppt werden kann, fordern 68,7 Prozent, dass die Bürger über die Zukunft umstrittener Techniken mitbestimmen dürfen.
Technik soll mit sozialen Werten im Einklang stehen
Was das Potenzial von Technik als Problemlöser angeht, sind die Deutschen skeptisch: Nur 24,6 Prozent gehen davon aus, dass sie mehr Probleme löst als sie schafft. Etwa ein Drittel (32,9 Prozent) erwartet, dass Herausforderungen wie Hunger, Armut und Klimawandel mit technischer Hilfe gelöst werden können. Wenn es um den Nutzen von Technik geht, denken die Befragten zuerst an die Gesellschaft. So sagt mit 73,7 Prozent eine deutliche Mehrheit, dass Technik mit gesellschaftlichen Werten wie Umweltschutz und Gerechtigkeit im Einklang stehen soll. Knapp ein Viertel (24,9 Prozent) findet technische Neuerungen nur dann gut, wenn sich daraus persönliche Vorteile ergeben. Auch wenn die Deutschen skeptisch sind, sehen sie durchaus positive Aspekte. »Unter allen Befragten rechnet fast jeder Zweite – und darunter Männer mehr als Frauen – damit, dass Technik die Lebensqualität für nachfolgende Generationen verbessern wird«, sagt die wissenschaftliche Projektleiterin Cordula Kropp, Soziologin vom Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart. »Geht es um konkrete Technologien, denken die Deutschen differenziert. Beim Einsatz von Robotern zur Entlastung von Pflegepersonal sind die Erwartungen zurückhaltend, bei der Nutzung erneuerbarer Energien zur Bekämpfung der globalen Erwärmung deutlich positiver«, so Kropp weiter.
Durch digitale Technologien droht Kontrollverlust
Die Digitalisierung und ihre Folgen betrachten die Deutschen mit gemischten Gefühlen: Sie erwarten zum Beispiel mehrheitlich einen Komfortgewinn (54,5 Prozent), befürchten jedoch ebenso, die Hoheit über ihre eigenen Daten zu verlieren (60,6 Prozent). Mit 80,8 Prozent rechnet eine große Mehrheit damit, dass Pflegebedürftige durch den Einsatz von Pflegerobotern weniger menschliche Zuwendung erhalten. 52,9 Prozent befürchten, dass sich dadurch künftig nur noch Wohlhabende von Menschen pflegen lassen können. Noch skeptischer sind die Deutschen beim autonomen Fahren. Nur 18 Prozent stufen selbstfahrende Fahrzeuge als zuverlässig ein. Unter denjenigen, die selbst Auto fahren, sind gerade mal 16,2 Prozent bereit, die Verantwortung vollständig an das Fahrzeug abzugeben. Eine große Mehrheit (67,4 Prozent) fürchtet, dass Hacker Unfälle verursachen könnten. Ähnlich ist die Sorge bei Smart-Home-Technologien: Hier befürchten 67,9 Prozent, dass Internetkriminelle die Wohnung kontrollieren könnten. Nur 8,1 Prozent der Befragten nutzt Lösungen für das intelligente Zuhause.
Vor allem Jüngere sorgen sich um persönliche Daten
Vorwiegend besser Gebildete, Personen mit einer technisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung, diejenigen, die sich sozial oberhalb der Mittelschicht einordnen und jüngere Befragte sorgen sich um die Datensicherheit. Grundsätzlich stehen die Jüngeren der Digitalisierung aber positiver gegenüber als Ältere, Männer positiver als Frauen. Besonders ältere Frauen zeigen sich vergleichsweise skeptischer. Und das nicht nur in Bezug auf die Digitalisierung, sondern auf Technik im Allgemeinen: Nahezu jede zweite Frau ab 65 Jahren (47,3 Prozent) glaubt, dass Technik mehr Probleme schafft als löst. Bei Männern unter 35 ist es nur jeder Fünfte (19,4 Prozent). Die relativ höhere Technikdistanz von Frauen ist kein neues Phänomen. Dennoch überrascht ein Ost-West-Vergleich: Dass Technik die Lebensbedingungen künftiger Generationen verbessert, erwarten rund 37 Prozent der Frauen in Westdeutschland – und über 62 Prozent der Frauen in Ostdeutschland.
Bürger wollen mitbestimmen – das TechnikRadar dient als Frühwarnsystem
»Nicht Technik an sich steht für die Deutschen im Mittelpunkt des Interesses, sondern ihre soziale Einbettung – die Ziele, die mit ihr angestrebt werden ebenso wie die Folgen ihres Einsatzes. Zu dieser dringend notwendigen Debatte um den Stellenwert, die Gestaltung und die Regulierung technischer Innovationen will das TechnikRadar zukünftig beitragen«, sagt Lothar Dittmer, Vorstandsvorsitzender der Körber-Stiftung. »Unser jährliches Monitoring haben wir bewusst als langfristiges Frühwarnsystem angelegt, um Fehlentwicklungen des technologischen Wandels rechtzeitig erkennbar zu machen. Im Idealfall unterstützen wir Innovationsprozesse so, dass Produkte und Technologien im Einklang mit den Erwartungen derer stehen, die sie nutzen oder von ihnen betroffen sind«, ergänzt Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor des IASS Potsdam und acatech Präsidiumsmitglied.
Hintergrund
Was die Deutschen über Technik denken, untersucht das TechnikRadar von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Körber-Stiftung. Grundlage ist eine regelmäßige, bundesweit repräsentative Befragung, die nach sozialwissenschaftlichen Standards entwickelt und mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung ausgewertet wird. Erstellt wird es vom Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart (ZIRIUS). 2018 wurden 2002 Personen befragt, Schwerpunktthema war Digitalisierung.
VERWEISE