KI ist nur ein Randthema
Defizite bei der Corporate Digital Responsibility – Künstliche Intelligenz noch schwach ausgeprägt
Wie verarbeiten die DAX40-Unternehmen die Daten, die von außen kommen und wie transparent wird dies in den Geschäftsberichten kommuniziert? Und wie setzt man in diesem Zusammenhang die verschiedenen Anwendungen der künstlichen Intelligenz für Mitarbeiter*innen und Kund*innen verantwortungsvoll ein?
Das waren zentrale Fragen des DAX DIGITAL MONITOR 2023, der nun schon zum vierten Mal von Prof. Dr. Dirk Stein (FOM Hochschule) und Prof. Dr. Tobias Kollmann (Universität Duisburg-Essen) – diesmal in Kooperation mit QCI Corporation – veröffentlicht wurde.
Die Antworten zeigen Defizite und Nachholbedarf bei den deutschen Konzernen auf, denn die Corporate Digital Responsibility ist nur in den wenigsten Geschäftsberichten ein fester Bestandteil und die Analyse zeigt zudem, dass die Künstliche Intelligenz (KI) bei vielen DAX-Unternehmen noch in den Kinderschuhen steckt.
Der DAX DIGITAL MONITOR untersucht auch in seiner vierten Ausgabe die Geschäftsberichte der DAX40-Unternehmen in Deutschland und analysiert dabei die berichteten Maßnahmen zur »Digitalisierung«, den Umfang und die Einheitlichkeit der Berichterstattung zur »Digitalisierung« sowie die Verankerung eines Digital Leadership mit den zugehörigen Digitalkompetenzen auf der Top-Führungsebene.
Auch die nichtfinanzielle Berichterstattung wird in diese Analyse mit einbezogen. Ein zusätzlicher Schwerpunkt in diesem Jahr waren die Darstellungen zur Corporate Digital Responsibility (CDR) und dem Einsatz der Künstliche Intelligenz (KI).
Berichterstattung: Kostenreduktion weiter im Fokus
Das Themenfeld »Kostenreduktion« hat für viele DAX40-Unternehmen nach wie vor einen hohen Stellenwert, wenn es um Digitalisierung geht. Sowohl Siemens Healthineers, Beiersdorf, Covestro als auch Fresenius greifen dieses Thema in ihren Berichten explizit auf. Im Vergleich zu den Ergebnissen der Vorjahresstudien 2020-2022 hat die Bedeutung der Kostensenkung durch Digitalisierung weiter an Bedeutung gewonnen.
»Diese Konzentration auf die Rationalisierung des Bestandsgeschäft lässt jedoch die Chancen des Einsatzes von Digitalisierung für neue Geschäftsaktivitäten im Innovationsgeschäft oftmals außen vor«, warnt der Autor der DDM-Studie Prof. Stein von der FOM Hochschule. Eine positive Ausnahme ist Heidelberg Materials, die von ihrer Wachstumsstrategie als »Ankerinvestor in Digital- und Technologie-Unternehmen sowie den eigenen digitalen Produkten für ein künftiges Wachstum« berichten.
Berichterstattung: Digitale Kennzahlen auf dem Vormarsch
Kennzahlen zur Digitalisierung gehören erfreulicherweise immer mehr zum festen Bestandteil der Berichterstattung und das untermauert die Glaubwürdigkeit der Unternehmensführung, dieses Thema fest in der Unternehmensstrategie zu verankern.
So ist es bei BASF beispielsweise »die Anzahl erreichter Kunden über digitale Angebote«, bei Beiersdorf das »Wachstum des E-Commerce-Geschäfts« oder bei Brenntag der »Beitrag der Digitalisierung zum operativen EBITA«.
»Kennzahlen sind eine wichtige Verpflichtung für die Digitale Transformation und verhindern ein bloßes Lippenbekenntnis der Unternehmensführung in diesem Bereich«, meint Prof. Kollmann als weiterer Autor der DDM-Studie von der Universität Duisburg-Essen und gibt weiter zu bedenken »Es gibt leider noch kein einheitliches KPI-System für die Digitalisierung und damit ein Patentrezept für die zugehörige Berichterstattung, was die Vergleichbarkeit der berichteten Maßnahmen für die Aktionäre schwierig macht.«
Berichterstattung: Künstliche Intelligenz leider nur ein Randthema (noch)
Das Thema »Künstliche Intelligenz« (KI) wird in der aktuellen Geschäftsberichterstattung über alle DAX40-Unternehmen hinweg nur an insgesamt 205 Textstellen verwendet.
»Das deutet darauf hin, dass sich das Thema KI bei vielen DAX40-Unternehmen noch im Anfangsstadium befindet«, findet Prof. Kollmann. So berichtet Porsche über »KI als wesentlicher Faktor für den Geschäftserfolg«, wird aber nicht konkreter im Hinblick auf die Umsetzung.
Merck will »KI für die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle einsetzen«, sagt aber nicht wie. Insgesamt 11 (27,5%) der DAX40-Unternehmen erwähnen die Künstliche Intelligenz in der Geschäftsberichterstattung zudem überhaupt nicht.
Das weiterführende Thema einer »Generative Artificial Intelligence«, ausgelöst von ChatGPT, findet darüber hinaus in keinem Geschäftsbericht eine Berücksichtigung. »Die DAX-Unternehmen wurden von dieser Entwicklung sprichwörtlich überrollt und im Jahr 2024 wird das in den Geschäftsberichten vermutlich deutlich anders aussehen, denn die Erwartungen an den geschäftlichen Nutzen von KI sind enorm«, ist Prof. Kollmann überzeugt.
Berichterstattung: Nachbesserung bei der Corporate Digital Responsibility
Nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Bedeutung der Künstlichen Intelligenz wird auch die Corporate Digital Responsibility (CDR) für die DAX-Unternehmen in Zukunft eine zunehmende Bedeutung bekommen. Warum? Weil die Verantwortung für die, auch und insbesondere bei der KI, eingesetzten Daten eine neue Bedeutung bekommen wird, und dies unmittelbar auf das Vertrauen bei Geschäftspartnern und Kunden im Umgang mit ihren Daten durchschlagen wird.
Als Vorreiter in Sachen CDR kann die Telekom genannt werden, die sich seit 2017 mit diesem Thema beschäftigt und CDR dem Sustainable Development Goal 9 (SDG 9) zuordnet. Die Telekom und Zalando veröffentlichen zudem jährlich einen eigenständigen CDR-Bericht. Porsche hat zudem in der Geschäftsberichterstattung 2022 bestätigt, dass CDR integraler Bestandteil der Porsche Strategie 2030 ist.
»Es wäre hilfreich, wenn sich alle DAX-Unternehmen freiwillig einer CDR-Initiative anschließen würden, damit sich ein klarer Kriterienkatalog für die Berichterstattung herausbildet« meint Prof. Stein in diesem Zusammenhang und ergänzt: »Gelingt dies nicht, so müsste der Gesetzgeber aktiv werden, denn digitale Ethik und Verantwortung werden und müssen ein fester Bestandteil unserer Unternehmenskultur werden.«
Berichterstattung: Gefahr eines Digital Washing bei digitalen Kompetenzen
83 % (Vorjahr: 72 %) der DAX40-Unternehmen haben die Verankerung der Digitalisierungsverantwortung und -kompetenz auf Vorstandsebene institutionalisiert (feste Zuordnung des Themenfeldes Digitalisierung zu einem Vorstandsmitglied). Das ist eine Steigerung von +11 % für ein Digital Leadership, aber meist nur in einer Doppelfunktion (z.B. dem CEO oder CTO zugeordnet). Ein eigenständiger Digitalchef konnte nur bei drei DAX40-Unternehmen auf der Vorstandsebene identifiziert werden (E.ON, Infineon und Heidelberg Materials). Die Digitalverantwortung als sog. Chief Digital Officer bzw. CDO wird in dieser Form einzig von Heidelberg Materials berichtet.
Bei 83 % (Vorjahr: 80 %) der DAX40-Unternehmen konnte die Digitalisierungsverantwortung und -kompetenz im Aufsichtsrat für die Arbeitgeberseite festgestellt werden. Auf der Arbeitsnehmerseite konnte eine Digitalisierungsverantwortung und -kompetenz im Aufsichtsrat in Höhe von 65% (Vorjahr: 8%) festgestellt werden. Dies ist mehr als das 7-fache des Vorjahreswertes.
Dabei ist jedoch Vorsicht geboten! Wesentlicher Treiber für diesen Zuwachs könnte die Empfehlung des Corporate Governance Kodex sein, bei dem sich Aufsichtsratsmitglieder in einer Selbstbewertung bestimmte Kompetenzfelder zuordnen können. »Das öffnet Tür und Tor für ein Digital Washing, denn die Selbsteinschätzung zu digitalen Kompetenzen, muss nicht objektiv messbaren Kriterien entsprechen!«, warnt Prof. Stein.
Berichterstattung: Digitalisierung als Vergütungskomponente im TOP-Management
Bei 63 % (Vorjahr: 55 %) konnte die explizite Verankerung der Digitalisierung als Vergütungskomponente auf Vorstandsebene bei den DAX40-Unternehmen festgestellt werden. Das ist entspricht einer Steigerung um +8 % zum Vorjahr und zeigt über den Zeitverlauf der Studien 2020-2023 eine konstant ansteigende Entwicklung auf. »Diese Entwicklung ist erfreulich, denn Anstrengungen für die Digitalisierung müssen zu einem festen Bestandteil der persönlichen Anreizsysteme bei den beteiligten Führungskräften und Mitarbeitern werden«, unterstreicht Prof. Kollmann und mahnt jedoch zugleich, dass »dies im relevanten Umfang zu erfolgen habe und nicht nur einen homöopathischen Anteil an der Gesamtvergütung haben darf.«