Bremen: Oberschule als alternativer Weg zur Hochschulreife etabliert
Nach der Schulreform in Bremen hat die von der Senatorin für Kinder und Bildung beauftragte wissenschaftliche Expertengruppe ihren Evaluationsbericht vorgelegt. Sie wertet die Umstellung des Sekundarschulsystems auf nur noch zwei weiterführende Schularten – das Gymnasium und die neu eingeführte Oberschule – als einen zukunftsfähigen Rahmen und empfiehlt, die neu geschaffenen Strukturen beizubehalten. Gleichzeitig erachtet die Expertengruppe weitere Maßnahmen im Bereich der Qualitätsentwicklung und der Ressourcenausstattung der Schulen als notwendig, um die schulische und unterrichtliche Arbeit innerhalb der neuen Strukturen weiterzuentwickeln und zu optimieren.
Mit der zum Schuljahr 2009/2010 durchgeführten Schulreform hat das Land Bremen zahlreiche Neuerungen eingeführt. Die ehemaligen Schulzentren (bestehend aus Sekundarschulen und Gymnasialabteilungen) und Gesamtschulen wurden zur neu geschaffenen Oberschule zusammengefasst, die nun neben dem Gymnasium die einzige weiterführende Schulform bildet. Die Oberschulen verfügen über eine eigene gymnasiale Oberstufe oder sie arbeiten mit den Oberstufen anderer Schulen zusammen. So können an dieser Schulform alle Abschlüsse einschließlich des Abiturs erworben werden. Klassenwiederholungen im Falle unzureichender Leistungen sind in der Sekundarstufe I an Gymnasien und Oberschulen nicht mehr vorgesehen. Ein weiterer Schwerpunkt der Reform liegt auf der gemeinsamen Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf (Inklusion). Zu den zentralen Zielen der Schulreform zählten die Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bremer Schulsystems sowie die Reduzierung der Kopplung zwischen familiärer Herkunft und Schulerfolg.
Eine von der Senatorin für Kinder und Bildung mit einer Evaluation der Reform beauftragte wissenschaftliche Expertengruppe hat jetzt ihre Ergebnisse vorgelegt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) und der Universitäten Bremen und Bielefeld ziehen folgendes Fazit: »Mit den schulstrukturellen Veränderungen wurde ein zukunftsfähiger und modernisierungsoffener Rahmen geschaffen«. Zugleich unterstreicht die Expertengruppe: »Die Ergebnisse der Evaluation weisen darauf hin, dass es weiterer zielgerichteter Maßnahmen bedarf, um die schulische und unterrichtliche Arbeit in den neu geschaffenen Strukturen weiterzuentwickeln und zu optimieren«.
Die zentralen Ergebnisse:
Die Oberschule hat sich in Bremen als zweite weiterführende Schulart neben dem Gymnasium etabliert und verzeichnet seit der Schulreform insgesamt betrachtet eine stabile Nachfrage. Gleichwohl variiert die Schulnachfrage erheblich auf Ebene der einzelnen Schulen, wobei Oberschulen ohne eigene Oberstufe im Durchschnitt weniger nachgefragt waren. Im Schuljahr 2016/17 besuchten nahezu drei Viertel der Schülerinnen und Schüler der 5. Jahrgangsstufe die Oberschule. Rund 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Oberschulen gingen im Anschluss an die 10. Jahrgangsstufe im Schuljahr 2017/18 in eine gymnasiale Oberstufe über. Damit stellen die Oberschulen in Bremen in den kommenden Jahren einen substanziellen Anteil der Abiturientinnen und Abiturienten. »In keinem anderen Bundesland erwirbt ein vergleichbar hoher Anteil der Abiturientinnen und Abiturienten die allgemeine Hochschulreife an einer weiterführenden Schulform jenseits des allgemeinbildenden Gymnasiums«, so das Forschungsteam.
Die Zusammenlegung der bisherigen nichtgymnasialen Schularten zur Oberschule wird von der übergroßen Mehrheit der Schulleitungen befürwortet und positiv bewertet. Auch die gemeinsame Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ist in hohem Maße akzeptiert.
Die Forscherinnen und Forscher weisen aber darauf hin, dass die grundsätzliche Befürwortung der zweigliedrigen Schulstruktur und der inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf aus Sicht des pädagogischen Personals mit »zum Teil als erheblich wahrgenommenen Defiziten in der räumlichen, materiellen und vor allem personellen Ausstattung der Schulen« einhergeht.
Trotz der Umstellung in der Schulstruktur sind die Leistungen der Schülerinnen und Schüler der 9. Jahrgangsstufe im Fach Deutsch, die auf der Grundlage der Bildungsstandards der KMK erfasst wurden, zwischen den Jahren 2009 und 2015 weitgehend stabil geblieben. Im Fach Englisch haben sich die erreichten Kompetenzen nahezu durchgängig positiv entwickelt, was dem allgemein in Deutschland zu beobachtenden Trend entspricht.
Darüber hinaus machen die Ergebnisse deutlich, dass das Ausmaß sozialer und migrationsbedingter Ungleichheiten im Bildungserfolg überwiegend konstant geblieben ist. So besuchen Schülerinnen und Schüler mit einem weniger privilegierten familiären Hintergrund auch nach der Reform seltener das Gymnasium und die gymnasiale Oberstufe und erlangen seltener das Abitur. Sie erzielten in der 9. Klasse außerdem gleichbleibend schwächere Ergebnisse in den Kompetenztests. »Herkunftsbezogene Bildungsungleichheiten zählen im Bremer Schulsystem weiterhin zu einem der drängendsten Probleme«, urteilen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Die Auswertungen der Expertengruppe stützen sich in erster Linie auf schüler- und schulbezogene Kennzahlen aus den amtlichen Schulstatistiken sowie Ergebnisse der Kompetenztests aus dem IQB-Bildungstrend. Darüber hinaus wurden Befragungen und Interviews mit verschiedenen Akteuren des Bremer Schulsystems durchgeführt, um tiefergehende Einblicke in die Umsetzung und wahrgenommenen Herausforderungen der reformbezogenen Veränderungen zu erhalten.
Zentrale Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung des Schulsystems sieht die Expertengruppe in einer verbesserten Abstimmung und Nutzung der verfügbaren Verfahren zur datenbasierten Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie in der systematischen Prüfung der Ressourcenausstattung von Schulen, um eine bedarfsgerechte Ausstattung gewährleisten und passgenaue Unterstützungsmaßnahmen bereitstellen zu können.