UNESCO-Weltbildungsbericht mit Schwerpunkt Inklusion erschienen
Pandemie droht Ungleichheiten zu verstärken * Bonner Schule für Engagement gewürdigt
Obwohl sich die Weltgemeinschaft zum Ziel gesetzt hat, bis 2030 inklusive und chancengerechte Bildung für alle sicherzustellen, haben mehr als eine Viertel Milliarde Kinder und Jugendliche keinen Zugang zu Bildung. Millionen andere werden aufgrund ihrer Herkunft, Identität oder einer Behinderung innerhalb des Bildungssystems ausgegrenzt und sind von den Folgen der COVID-19-Pandemie besonders betroffen.
Zu diesem Schluss kommt der UNESCO-Weltbildungsbericht »Inklusion und Bildung: Für alle heißt für alle«, der heute vorgestellt wird. Der Bericht fordert, sie jetzt gezielt zu unterstützen.
Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, betont: »Demokratie beruht auf dem Versprechen gleicher Chancen. Inklusion bedeutet: Alle gehören dazu. Sie lässt niemanden zurück, sondern bezieht alle ein – unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Beeinträchtigungen. Sie will die Potentiale aller Menschen ausschöpfen. Doch davon sind wir leider noch immer weit entfernt. Nicht nur im Bereich Bildung. Die Pandemie zeigt: Wir müssen jetzt auch in der Außenpolitik unsere Anstrengungen für eine gleichberechtigte Teilhabe verstärken.«
Im Weltvergleich ist Armut auch heute noch die entscheidende Hürde für den Bildungserfolg. In allen Ländern, außer in den einkommensstarken Staaten Europas und Nordamerikas, schließen im Verhältnis zu 100 Jugendlichen aus den wohlhabendsten Haushalten nur 18 aus den ärmsten die Sekundarschule ab. Doch auch andere Faktoren limitieren den Zugang zu Bildung. So gaben junge LGBTI in den USA fast drei Mal häufiger als ihre Klassenkameradinnen und -kameraden an, der Schule fernzubleiben, weil sie sich dort nicht sicher fühlten.
Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, unterstreicht: »Jeder und jede hat ein Recht auf gute Bildung, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialem Status, religiöser und sexueller Orientierung oder einer Beeinträchtigung. Mit diesem Ziel vor Augen arbeiten wir im Bundesministerium für Bildung und Forschung für eine starke inklusive Bildung in Deutschland. Mit Initiativen wie KAUSA und ‚Kultur macht stark‘ sind wir in diesem Sinne aktiv. Die Koordinierungsstelle für Ausbildung und Migration KAUSA hat zum Ziel, Selbstständige mit Migrationshintergrund für die duale Ausbildung zu gewinnen und die Ausbildungsbeteiligung von Migrantinnen, Migranten und Geflüchteten zu erhöhen. Mit dem Programm ‚Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung‘ fördern wir außerschulische Maßnahmen der kulturellen Bildung für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Unser Anspruch ist es, Bildung auf allen Ebenen inklusiv zu gestalten. Wir müssen uns in Deutschland und der Welt noch mehr anstrengen, damit wir diesem Ziel Schritt für Schritt näherkommen«.
Hürden mit Gesetzeskraft
In einem Viertel aller Länder weltweit ist die getrennte Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung gesetzlich vorgeschrieben. In Asien, Lateinamerika und der Karibik existieren in über 40 Prozent der Staaten entsprechende Regelungen. Aber auch Minderheiten und Geflüchteten wird der Zugang zu hochwertiger Bildung in vielen Ländern der Welt noch immer nicht hinreichend gewährt. In mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern lernen Kinder der Roma-Minderheit getrennt von der Mehrheitsgesellschaft. In den OECD-Staaten besuchen mehr als zwei Drittel aller Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Schulen, an denen mindesten die Hälfte der Schülerinnen und Schüler ebenfalls eine Zuwanderungsgeschichte hat.
Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, macht deutlich: »Im Krisenkontext, wie der aktuellen COVID-19-Pandemie, verschärfen sich bestehende Ungleichheiten weltweit. Alle Menschen brauchen einen gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger Bildung. Daher haben wir selbstverständlich auch diesen Aspekt in das BMZ-Corona-Sofortprogramm mit aufgenommen. So unterstützen wir die Globale Bildungspartnerschaft mit mindestens 25 Millionen Euro und wirken damit insbesondere den verheerenden Folgen, die diese Pandemie auf die globale Bildung hat, entgegen«.
Inklusion braucht gut geschultes Personal
Vielen Bildungssystemen liegt die Annahme zugrunde, dass alle Menschen dieselben Lernbedürfnisse haben. Das zeigt sich unter anderem daran, dass bis heute erst 41 Länder eine Form der Gebärdensprache offiziell anerkannt haben, darunter Deutschland. Doch nicht nur Staaten, sondern auch die Gesellschaft setzt der Inklusion Grenzen. So stellt der Weltbildungsbericht fest, dass 59 Prozent aller Eltern in Hongkong und 15 Prozent in Deutschland befürchten, dass Kinder mit Behinderungen das Lernen anderer Schülerinnen und Schüler stören würden.
Bei der Umsetzung von Teilhabe im Bildungsbereich kommt insbesondere den Lehrkräften eine entscheidende Rolle zu. Sie sind der Schlüssel zu mehr Inklusion im Schulalltag, brauchen dafür aber das nötige Handwerkszeug. So gab ein Viertel aller Lehrkräfte in 48 untersuchten Ländern an, sich mehr Weiterbildungen zum Unterrichten von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedarfen zu wünschen.
Walter Hirche, Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, erklärt: »In Deutschland haben wir in den vergangenen Jahren bereits viel erreicht. Aber die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf lernt noch immer separiert, statt den Unterricht an allgemeinen Schulen zu besuchen. Das müssen wir ändern. Inklusion ist ein ständiger Lernprozess für Kinder, für Eltern, aber auch für unsere Lehrerinnen und Lehrer. Wir müssen sie in der Ausbildung und mit passgenauen Fortbildungen dabei unterstützen, alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen mitzunehmen«.
Weltweit Schritte Richtung Inklusion
Auch wenn die Weltgemeinschaft noch einen weiten Weg vor sich hat, gibt es viele Beispiele, die zeigen, wie Inklusion gelingen kann. Vor Veröffentlichung des Weltberichts stellte die UNESCO in diesem Jahr Vorreiter inklusiver Bildung vor, darunter Sabine Kreutzer, Leiterin der Marie-Kahle-Gesamtschule Bonn. An der 2009 gegründeten Schule wird nach der Dalton-Methode unterrichtet, die den Schülerinnen und Schülern ein selbstbestimmtes Lernen in ihrem eigenen Tempo ermöglicht. Die Bonner Bildungseinrichtung wurde dafür erst im vergangenen Jahr mit dem Jakob Muth-Preis für inklusive Schule ausgezeichnet.
Auch in vielen anderen Ländern hat die UNESCO innovative Ansätze für mehr Bildungsteilhabe gefunden. So existieren auf Kuba, in Malawi und der Ukraine Kompetenzzentren, die allgemeine Schulen dabei unterstützen, Kinder mit besonderen Bedarfen zu unterrichten. In Gambia, Neuseeland und auf Samoa werden mobile Lehrkräfte eingesetzt, um benachteiligte Gruppen zu erreichen. Der indische Bundesstaat Odisha verwendet 21 Stammessprachen in seinen Klassenzimmern und Kenia passt seinen Lehrplan an den Kalender der im Land lebenden Nomaden an.
Hintergrund
Mit der Verabschiedung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda hat sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherzustellen. Die UNESCO koordiniert die Umsetzung dieses Ziels, evaluiert die Fortschritte und veröffentlicht jährlich den Weltbildungsbericht.