Erste übergreifende Bildungsbilanz im Licht der Corona-Pandemie

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Die Entwicklung des Bildungswesens war in den vergangenen zwei Jahren maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägt

Das wird auch im heute veröffentlichten 9. nationalen Bildungsbericht »Bildung in Deutschland 2022« deutlich. Unter anderem wurden die digitalen Bildungsangebote enorm ausgebaut, ohne den Wegfall von Präsenzformaten überall ersetzen zu können. Zugleich ergaben sich große Zusatzbelastungen für Familien, Lernende und die pädagogischen Fachkräfte. Das Bildungspersonal steht auch im Mittelpunkt des Schwerpunktkapitels des Berichts. Wichtige Befunde: Der Bedarf an Qualifizierung steigt, und vor allem im Kita- und Schulbereich fehlt Personal.

»Viele Trends und Problemlagen, auf die vorherige Bildungsberichte hingewiesen haben, sind weiter aktuell. Die Corona-Pandemie hat den Blick hierfür geschärft und zugleich das Bildungsgeschehen erheblich beeinflusst. Wenngleich die Folgen noch nicht vollständig absehbar sind, erlaubt die Systematik des Bildungsberichts eine erste übergreifende Bilanz«, sagt Professor Dr. Kai Maaz, der Geschäftsführende Direktor des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Er ist Sprecher der Gruppe von Wissenschaftler*innen, die für den nationalen Bildungsbericht verantwortlich ist. Der Bericht wird alle zwei Jahre auf Basis von amtlichen Statistiken sowie sozialwissenschaftlichen Daten und Studien erstellt. Als systematische Bestandsaufnahme des gesamten Bildungswesens verfolgt er langfristige Entwicklungslinien und benennt neue Akzentuierungen.

Einige zentrale Befunde zu den Folgen der Corona-Pandemie für das Bildungswesen:

  • Seit dem ersten Lockdown im März 2020 haben viele Bildungseinrichtungen wiederholt keine Präsenzangebote machen können. An den Schulen erstreckte sich der Distanzunterricht allein bis Juni 2021 auf insgesamt vier bis fünf Monate. Das Aus- und Weiterbildungsangebot ist wiederum in einem Maße eingebrochen, das mit den Folgen der Finanzkrise 2008 vergleichbar ist.
  • Es fehlen mehr belastbare Daten, aber es gibt bereits Hinweise auf zurückgegangene fachspezifische Leistungen von Schüler*innen. Nach ersten Befunden sind etwa die Lesekompetenzen der Viertklässler*innen im Jahr 2021 gegenüber 2016 gesunken – auch wenn sich das nicht allein auf die Pandemie zurückführen lässt.
  • Der Wegfall von Bildungseinrichtungen als Sozialraum brachte erhebliche psychosoziale Belastungen mit sich. So beklagt die Mehrheit der Studierenden, dass ihnen der persönliche Kontakt zu Mitstudent*innen und Lehrenden fehlt. Und während des Lockdowns im Frühjahr 2020 standen nach eigenen Angaben nur 38 Prozent der Lehrkräfte mit allen oder fast allen Schüler*innen in regelmäßigem Kontakt.
  • An den Übergängen im Bildungssystem ergaben sich starke Unsicherheiten. Zwischen 2019 und 2021 sind zum Beispiel 7 Prozent weniger Jugendliche in eine berufliche Ausbildung eingemündet. Verlängerte Regelstudienzeiten und aufgeschobene Prüfungen dürften auch dazu beigetragen haben, dass die Zahl der Hochschulabsolvent*innen von 2019 auf 2020 um 6 Prozent gesunken ist.
  • Der Ausbau digital unterstützter Bildungsangebote hat sich beschleunigt. Dennoch nutzte während der Pandemie nur ein Drittel der Kitas digitale Formate für den Austausch mit Eltern und Kindern. Bei manchen Weiterbildungsanbietern stieß der Umstieg ebenfalls auf Hürden: Die Volkshochschulen konnten etwa im ersten Lockdown nur einen geringen Teil des geplanten Angebots digital umsetzen.
  • Die zuletzt sehr angespannte Personalsituation erschwerte in einigen Bereichen auch den Umgang mit der Pandemie. Zudem waren viele Lehrende gerade zu Beginn der Pandemie unzureichend auf den Wechsel zu Online-Formaten vorbereitet.
  • Das Schwerpunktkapitel des aktuellen Bildungsberichts widmet sich dem pädagogischen Personal. »Für gelingende Bildungsprozesse nimmt das Bildungspersonal eine Schlüsselrolle ein. Daher rückt es immer stärker in den Fokus des Interesses, Fachkräfte zu gewinnen und zu qualifizieren – nicht nur in Krisenzeiten«, betont Professor Maaz.

Ausgewählte Analysen des Schwerpunktkapitels »Bildungspersonal«:

  • Im Bildungsbereich arbeiten vielfältige Berufsgruppen mit unterschiedlichen Aufgaben zusammen – unter heterogenen Bedingungen. Beispiel: Während Lehrkräfte an Schulen vor allem hauptberuflich tätig sind, reicht der Anteil nebenberuflich Beschäftigter in der Weiterbildung bis zu 70 Prozent.
  • Die Anzahl der Beschäftigten an Kitas, allgemeinbildenden Schulen und Hochschulen sowie in Teilen der Weiterbildung ist seit 2010 teils merklich gestiegen. Allein in der Frühen Bildung lag der Zuwachs des Personals bei 75 Prozent. Die Beteiligung an den einzelnen Bildungsbereichen hat jedoch in einem ähnlichen Maß zugelegt, sodass sich die Betreuungsrelation im Ergebnis kaum verbessert hat.
  • Die Nachfrage nach Personal ist groß, was sich etwa an der gestiegenen Anzahl von Quer- und Seiteneinsteiger*innen festmachen lässt. Und der Bedarf wird weiter steigen. Das betrifft vor allem die Frühe Bildung in Westdeutschland (geschätzt 72.500 fehlende Fachkräfte bis 2025) und die Schulen (gut 30.000 fehlende Lehrkräfte bis 2030). Aufgrund neuer Anforderungen – etwa der Digitalisierung oder der Inklusionsbemühungen – braucht es zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen.
  • Die Qualifizierungsstandards beim Zugang zu pädagogischen Berufen sind sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von niederschwelligen Belegen von Fachexpertise ohne pädagogische Qualifikation (etwa bei Lehrbeauftragten an Hochschulen) über berufliche Bildungsabschlüsse (zum Beispiel bei betrieblichen Ausbilder*innen) bis zum Hochschulstudium (beispielsweise für Lehrkräfte an Schulen).
  • Die Regularien für Fortbildungen und die Teilnahme daran variieren stark zwischen den Bildungsbereichen. Ohne Verpflichtung ist eine stetige Fortbildungsteilnahme abhängig von den Erwartungen der Träger und Einrichtungen oder eine private Angelegenheit. Mit 33 Prozent liegt die Fortbildungsquote des pädagogischen Personals aber über der aller Erwerbstätigen (17 Prozent).
  • Nicht nur vor diesem Hintergrund ergeben sich große Handlungsbedarfe im Bildungswesen. Maaz betont: »Viele Herausforderungen erfordern gesteigerte Aufmerksamkeit und haben sich durch die Corona-Pandemie teilweise noch verschärft. Dazu gehören unter anderem die nach wie vor hohe soziale Ungleichheit der Bildungschancen sowie der Abbau von Kompetenzarmut.« Insgesamt verweist der Bericht vor allem auf drei Ansatzpunkte:
  • Es braucht intensive, verbindliche und bereichsübergreifende Abstimmungsprozesse zwischen den Akteur*innen im Bildungswesen – auf Basis von empirisch gesicherten Informationen. Ziel ist, so die Reaktions- und Handlungsfähigkeit sowie die Verantwortlichkeit aller Beteiligten zu steigern.
  • Die Digitalisierung des Bildungsbereichs schreitet voran und muss systematisch begleitet werden. Besonders kommt es darauf an, die Investitionen in die Infrastruktur zu verstetigen, die digitalen Bildungsangebote auszubauen und das Personal dafür zu qualifizieren.
  • Angesichts wachsender Bedarfe sind in den kommenden Jahren erhebliche Anstrengungen vonnöten, um qualifiziertes pädagogisches Personal zu gewinnen. Neben zusätzlichen Fachkräften ist es auch von zentraler Bedeutung, die Fortbildungsstruktur und -kultur weiterzuentwickeln.

Über den Nationalen Bildungsbericht
Der Bericht »Bildung in Deutschland« wird von einer unabhängigen Gruppe von Wissenschaftler*innen erstellt, die folgende Einrichtungen vertreten: Das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (Federführung), das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE), das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) an der Georg-August-Universität sowie die Statistischen Ämter des Bundes (Destatis) und der Länder. Die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördern die Erarbeitung des Berichts.

 

 

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