Wie aus guten Mitarbeitern Spitzenkräfte werden
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Julia Voss, Hamburg.
Viele Führungskräfte begreifen es noch nicht als eine ihrer Kernaufgaben, die Fähigkeit ihrer Mitarbeiter neue Aufgaben zu übernehmen und professionell zu erfüllen, mit System zu entwickeln. Das ist schade! Denn hierdurch würden auch die Führungskräfte mittelfristig entlasten.
»Meine Mitarbeiter kann man fast alle in der Pfeife rauchen. Wenn ich denen eine Aufgabe übertrage, muss ich permanent korrigierend eingreifen.« Solche resignativen Aussagen hört man immer wieder von Führungskräften, wenn man mit ihnen zum Beispiel abends an der Bar bei einem Bier spricht. Dann stimmen sie oft ein Klagelied darüber an, dass sie sich im Arbeitsalltag alleine und im Stich gelassen fühlen. Doch nicht nur dies. Sie klagen auch darüber, dass sie aufgrund der mangelnden Unterstützung an ihre Belastungsgrenzen stoßen – weshalb ihnen mittelfristig ein Burn-out droht.
Spricht man jedoch länger mit besagten Führungskräften, dann zeigt sich meist: Sie sind an dieser Situation teils selbst schuld. Denn immer wieder übertragen sie Mitarbeitern Aufgaben,
- ohne ihnen vorweg ausreichend Information zu geben, wie die Aufgaben zu erfüllen sind, und
- ohne sich vorab davon zu überzeugen, ob der Mitarbeiter über das erforderliche Wissen und Können verfügt, um die Aufgabe adäquat zu lösen.
Deshalb müssen sie regelmäßig unterstützend und korrigierend eingreifen.
Führungsaufgabe »Mitarbeiter entwickeln«
Ein weiterer Punkt zeigt sich meist in den Gesprächen mit den Führungskräften. Sie betrachten es primär als ihre Aufgabe, das Alltagsgeschäft zu managen. Also dafür zu sorgen, dass die operativen Ziele erreicht werden. Sie betrachten es aber nicht als ihre Aufgabe sicherzustellen, dass ihre Mitarbeiter Schritt für Schritt die Kompetenz erwerben nicht nur neue, sondern auch komplexere Aufgaben weitgehend eigenständig zu lösen.
Diese Führungsaufgabe professionell wahrzunehmen wird aber in einer Zeit, in der sich die Arbeitsinhalte, -abläufe, -strukturen und -beziehungen in den Betrieben immer schneller wandeln, zunehmend wichtig. Denn wenn sich die Kompetenz der Mitarbeiter nicht erhöht, stagniert die Organisation. Sie verliert also zunehmend ihre Wettbewerbsfähigkeit, weshalb sie irgendwann vom Markt verschwindet.
Dass viele Führungskräfte ihre Aufgabe »Mitarbeiter entwickeln« nur bedingt wahrnehmen, liegt auch daran, dass ihnen häufig das hierfür nötige Wissen und Können nicht vermittelt wurde. So liegt zum Beispiel in den meisten Führungskräfteentwicklungsprogrammen der Unternehmen der Fokus darauf, das operative Tagesgeschäft zu managen. Und die Führungsnachwuchskräfte trainieren in ihnen zwar, Feedback- und Zielvereinbarungsgespräche mit Mitarbeitern zu führen. Kaum behandelt werden in den meisten Führungskräfteentwicklungsprogrammen aber die Fragen:
- Wie kann ich als Führungskraft die Entwicklung von Mitarbeitern fördern?
- Welche Stufen der Kompetenz-Entwicklung gilt es bei den Mitarbeitern zu unterscheiden?
- Woran erkenne ich, auf welcher Entwicklungsstufe sich ein Mitarbeiter beim Wahrnehmen gewisser Aufgaben befindet?
und:
- Welche Art von Führung und Unterstützung ist auf den verschiedenen Entwicklungsstufen angesagt?
Da viele Führungskräfte ein solches Entwicklungsmodell nicht verinnerlicht haben, fällt es ihnen im Betriebsalltag im konkreten Umgang mit ihren Mitarbeitern auch oft schwer, das adäquate Führungsverhalten zu zeigen.
Das Führungsverhalten dem Mitarbeiter anpassen
Paul Hersey, einer der Erfinder des Situativen Führens unterscheidet bei der Fähigkeit von Mitarbeitern, Aufgaben eigenständig und -verantwortlich zu lösen, vier Performance Readiness-Levels beziehungsweise Selbstständigkeitsgrad-Stufen. Diese seien kurz skizziert.
Angenommen ein Mitarbeiter erhält eine neue Aufgabe. Dann ist in der Regel seine Fähigkeit, diese eigenständig zu lösen, noch sehr gering, denn ihm fehlen das erforderliche Wissen und die nötige Erfahrung. Also muss seine Führungskraft ihn bei der Arbeit anleiten. Sie sollte dem Mitarbeiter also detaillierte Instruktionen geben, wie und mit welchen Zielen die Aufgabe zu erfüllen ist. Zudem sollte sie sein Vorgehen und seine Leistung zeitnah überwachen.
Angenommen nun, der Mitarbeiter macht sich so unterstützt ans Werk und sammelt erste Erfahrungen beim Lösen gewisser Teilaufgaben. Dann zeigt sich beim konkreten Tun oft: Die neue Aufgabe ist schwieriger als vom Mitarbeiter zunächst gedacht. Hieraus resultiert meist eine gewisse Ernüchterung und Enttäuschung, die zu einem Nachlassen der Motivation führt. Also ist nun seitens der Führungskraft ein anderes Führungsverhalten gefragt. Sie muss den Mitarbeiter verstärkt motivieren und überzeugen. Das heißt, sie erläutert ihm Entscheidungen, erbittet Vorschläge und lobt Vorgehensweisen – selbst wenn diese nur teilweise richtig sind. Zudem trifft sie mit dem Mitarbeiter eine Vereinbarung über das Vorgehen.
Angenommen nun, der Mitarbeiter nimmt die Aufgabe weiter wahr. Dann entwickelt er allmählich ein Gespür dafür, wie er sie meistern kann. Er ist aber noch unsicher, wenn zum Beispiel unvorhergesehene Ergebnisse eintreten oder situationsbedingt ein etwas anderes Vorgehen nötig ist. Dann fühlt er sich schnell überfordert und fragt sich: Schaffe ich das allein? So schwankend wie seine Gefühle, sind dann seine Motivation und sein Engagement. Also muss die Führungskraft erneut ein anderes Führungsverhalten zeigen. Sie muss dem Mitarbeiter als Ansprechpartner und Ratgeber zur Seite stehen. Außerdem muss sie ihn ermutigen, eigenständig auch vom Standard-Vorgehen leicht abweichende Lösungswege zu entwerfen und zu beschreiten und ihm hierüber ein Feedback geben.
Ganz anders sollte das Führungs- und somit Gesprächsverhalten wiederum sein, wenn der Mitarbeiter bereits eine gewisse Routine im Lösen der Aufgabe entwickelt hat und auch nicht in Panik gerät, wenn hierbei ein etwas anderes Vorgehen praktiziert werden muss. Dann kann die Führungskraft die Aufgabe loslassen. Sie kann diese also an den Mitarbeiter delegieren, was auch zu einer Entlastung der Führungskraft führt. Weiterhin sicherstellen muss sie jedoch, dass Zielklarheit besteht. Zudem muss sie die Leistung des Mitarbeiters beobachten und überwachen – denn dies ist und bleibt eine nicht-delegierbare Führungsaufgabe.
Auch Führungskräfte müssen lernen
Wenn Führungskräfte die jeweiligen Performance Readiness-Levels beziehungsweise Selbständigkeitsgrad-Stufen und die verschiedenen Führungsstile kennen, haben sie eine erste Orientierung, welches Führungsverhalten im Kontakt mit ihren Mitarbeitern beim Lösen einer Aufgabe angemessen ist. Doch wissen bedeutet nicht können. Deshalb sollten Führungskräfte darin geschult werden, ihr Gegenüber und die Situation richtig einzuschätzen und mit ihren Mitarbeitern angemessen, also zielführend zu kommunizieren.
Das ist auch wichtig, weil sich die Arbeitsstrukturen in den Unternehmen gewandelt haben. In den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit hatte jeder Mitarbeiter seine definierten und in seiner Stellenbeschreibung fixierten Aufgaben und seine Führungskraft überwachte, wie kompetent und zuverlässig er diese wahrnahm. Heute hingegen müssen die Mitarbeiter zumeist in Teams weitgehend eigenständig und -verantwortlich die ihnen übertragenen Aufgaben lösen. Das erfordert nicht nur mehr Kompetenz von ihnen, auch die Rolle ihrer Führungskräfte wandelt sich hierdurch. Eine Kernaufgabe von ihnen wird es zunehmend,
- die Voraussetzungen für eine effektive Zusammenarbeit zu schaffen und diese zu moderieren und
- dafür zu sorgen, dass ihre Mitarbeiter nicht nur heute, sondern auch morgen über die erforderliche Kompetenz verfügen, um ihre Aufgaben professionell wahrzunehmen.
Das setzt ein verändertes Führungsverhalten voraus; des Weiteren ein verändertes Selbstverständnis der Führungskräfte. Sie müssen sich zunehmend selbst als Lernende verstehen.
Eine neue Führungskultur entwickeln
Ebenso wie es heute der Anspruch jedes Mitarbeiters sein muss, seine Leistung kontinuierlich zu verbessern, müssen auch die Führungskräfte nach einer kontinuierlichen Verbesserung ihres Führungsverhaltens streben. Das heißt, sie müssen regelmäßig das Verhalten, das sie im Kontakt mit ihren Mitarbeitern zeigen, hinterfragen und nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen. Das kann in Führungskräftetrainings und -coachings geschehen. Doch dies allein genügt in der Regel nicht. Denn das Ziel eines Unternehmens sollte es nicht sein, dass sich das Führungsverhalten einzelner Führungskräfte verbessert, vielmehr sollte in der gesamten Organisation eine neue Führungskultur entstehen. Also gilt es auch Foren zu schaffen, wo sich die Führungskräfte regelmäßig im Kollegenkreis über ihr Führungsverhalten austauschen und gemeinsam nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen. Denn nur dann verändert und entwickelt sich die Organisation.
Zur Autorin: Julia Voss ist Geschäftsführerin des Trainings- und Beratungsunternehmens Voss+Partner, Hamburg.
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.
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